83. Konferenz der Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts und der Präsidentinnen und Präsidenten der Landesarbeitsgerichte
Am 9. und 10. September 2021 fand in Ludwigsburg die 83. Konferenz der Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts und der Präsidentinnen und Präsidenten der Landesarbeitsgerichte statt. An der Konferenz nahmen auch einige Vertreter des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales teil, darunter der neue Leiter der Abteilung „Arbeitsrecht und Arbeitsschutz“ Ministerialdirektor Jörn Böttcher.
Themenschwerpunkte: „Digitalisierung der Justiz“ und „Justiz und Medien“
Zum ersten Themenschwerpunkt referierten Rechtsanwalt Markus Hartung über die „Digitale Transformation des Rechtsmarkts“ und LAG Präsident Dr. Jürgen vom Stein über den „Prozessualen Reformbedarf bei digitaler Prozessführung“. Anschließend berichteten LAG Präsident Dr. Holger Schrade und LAG Präsidentin Marlies Heimann über die Auswirkungen des Gesetzes über den Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs auf die Arbeitsgerichtsbarkeit. Den Schlusspunkt setzte Richter am Arbeitsgericht Dr. Johannes Bader mit einem Bericht über seine Erfahrungen aus zwischenzeitlich rd. 400 durchgeführten Videoverhandlungen.
Die Konferenz fasste zum ersten Schwerpunktthema folgende Beschlüsse:
Elektronischer Rechtsverkehr: Am 24. Juni 2021 hat der Bundestag das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer prozessrechtlicher Vorschriften verabschiedet. Die abschließende Beratung des Gesetzes im Bundesrat erfolgt voraussichtlich am 17. September 2021.
Nach den durch das Gesetz vorgesehenen Änderungen müssen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände ab dem 1. Januar 2024 über einen sicheren elektronischen Übermittlungsweg uneingeschränkt empfangsbereit sein. Hierfür ist ein besonderes elektronisches Bürger- und Organisationenpostfach (eBO) vorgesehen, das auch bereits vor dem Beginn der (passiven) Nutzungspflicht ab 1. Januar 2024 genutzt werden kann.
Die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts und die Präsidentinnen und Präsidenten der Landesarbeitsgerichte begrüßen die gesetzlichen Änderungen. Sie appellieren an die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, das eBO bereits vor dem 1. Januar 2024 passiv und aktiv zu nutzen. Die Digitalisierung der Arbeitsgerichtsbarkeit ist weit vorangeschritten. Medienbrüche sollten in Zukunft soweit wie möglich vermieden werden. Daher ist ein rascher Einstieg der Gewerkschaften und Verbände in den elektronischen Rechtsverkehr wünschenswert.
Unabhängig von genutzten anderen sicheren elektronischen Übermittlungswegen, beispielsweise dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) von Syndikusanwältinnen und -anwälten der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, sollte zur Vermeidung rechtlicher Risiken auf das eBO zurückgegriffen werden. Die Arbeitsgerichtsbarkeit wird spätestens ab dem 1. Januar 2024 elektronisch zustellen.
Die Bewertung der rechtlichen Fragestellung, ob als Syndikusrechtsanwältinnen und – anwälte zugelassene Verbandsvertreter spätestens ab 1. Januar 2022 von einer aktiven Nutzungspflicht des beA erfasst werden, unterliegt der richterlichen Unabhängigkeit und ist daher einer Empfehlung durch die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts und der Präsidentinnen und Präsidenten der Landesarbeitsgerichte nicht zugänglich.
Digitaler Arbeitsgerichtsprozess: Für die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts sowie die Präsidentinnen und Präsidenten der Landesarbeitsgerichte ist die Digitalisierung der Arbeitsgerichtsbarkeit eine zentrale Zukunftsaufgabe. Sie ist darauf gerichtet, auf der Grundlage einer elektronischen Aktenführung die Tätigkeit der Arbeitsgerichte zu unterstützen und die besonderen Abläufe der arbeitsrechtlichen Verfahren zu beschleunigen. Vor allem bietet sie die historische Chance, für Arbeitnehmer durch geeignete Onlineverfahren den Zugang zum Recht zu erleichtern.
Daher werden sich die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts sowie die Präsidentinnen und Präsidenten der Landesarbeitsgerichte mit der Unterstützung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales in das Reformprojekt des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz zur Digitalisierung der Justiz einbringen. Eine hierfür zuständige Arbeitsgruppe wird bis zur Jahresmitte 2022 einen Zwischenbericht zur konkreten Fortentwicklung des Digitalisierungsprozesses vorlegen.
Videoverhandlungen: Anlässlich der parlamentarischen Beratungen über das Sozialschutz-Paket II hat der Bundesrat die Erarbeitung eines tragfähigen Gesamtkonzepts für Videoverhandlungen in allen Gerichtsbarkeiten angemahnt (Bundesrats-Drucksache 245/1/20). Er hat sich hierbei dazu bekannt, die Nutzung der Videokonferenztechnik in Gerichtsverfahren unter Wahrung der geltenden rechtsstaatlichen Grundsätze zu fördern.
Die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts und die Präsidentinnen und Präsidenten der Landesarbeitsgerichte unterstützen die Initiative des Bundesrats. Sie sind der Auffassung, dass Videoverhandlungen zwar keinen Ersatz für Präsenzverhandlungen darstellen, aber sehr gut geeignet sind, das Verhandlungsangebot der Arbeitsgerichtsbarkeit – auch nach der Zeit der Corona-Pandemie – zu vervollständigen. Für das arbeitsgerichtliche Verfahren sollte im Falle einer Reform des § 128a ZPO an der Anwesenheit des Spruchkörpers im Sitzungssaal auch bei Videoverhandlungen festgehalten werden.
Videoverhandlungen werden nur dann auf eine breite Akzeptanz stoßen, wenn die technischen und rechtlichen Rahmenbedingungen verbessert werden. Die Videotechnik muss einfach handhabbar sein, zuverlässig funktionieren und allen Richterinnen und Richtern und den Rechtsanwendern zugänglich sein. Eine bundeseinheitliche Softwarelösung für die Justiz sollte angestrebt werden.
Die Auslagenpauschale für Videoverhandlungen in Nr. 9019 des Kostenverzeichnisses zum GKG sollte – wenn nicht abgeschafft – jedenfalls nur dann erhoben werden, wenn bereits aus anderen Gründen ein Kostenansatz vorzunehmen ist. Sie passt nicht zu den zahlreichen Kostenprivilegierungen im arbeitsgerichtlichen Verfahren und führt zu einem Aufwand, der in keinem Verhältnis zum Ertrag steht.
Zum zweiten Themenschwerpunkt berichtete der Leiter der ARD-Rechtsredaktion Dr. Frank Bräutigam über die „Erfahrungen eines Journalisten mit der Medienarbeit der Justiz“. Anschließend gab LAG Präsidentin Dr. Ursula Hantl-Unthan einen Überblick über die Medienarbeit in den Ländern.
Die Konferenz fasste zum zweiten Schwerpunkthema folgenden Beschluss:
Justiz und Medien: Die Medienlandschaft hat sich in den vergangenen Jahren massiv verändert und wird sich in den kommenden Jahren noch weiter wandeln. Während traditionelle Printmedien in den Hintergrund treten, werden soziale Medien größere Zuwächse erfahren.
Die Pressearbeit der Justiz ist derzeit noch an die Tageszeitungen gerichtet. Damit kann die Justiz nur noch einen Teil der Bevölkerung erreichen. Will sie alle Bürgerinnen und Bürger ansprechen, muss sie sich stärker den sozialen Medien öffnen. Soziale Medien sind auf vereinfachte und schlagwortartige Informationsvermittlung ausgerichtet. Darauf muss sich die mediale Darstellung komplexer juristischer Sachverhalte einstellen können. Hierzu müssen Formate entwickelt werden, die eine sachbezogene Information mit einer ansprechenden Präsentation verbinden.
Im Hinblick darauf sind die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts und die Präsidentinnen und Präsidenten der Landesarbeitsgerichte der Auffassung, dass die Justiz eine umfassende Kommunikationsstrategie für das 21. Jahrhundert entwickeln muss. Die Landesjustizverwaltungen sollen dieses Vorhaben zeitnah, ggf. mit der Unterstützung durch professionelle Dienstleister aus der social media-Branche, angehen.
Die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts Ingrid Schmidt nahm zum letzten Mal an der Konferenz teil. Anlässlich des Empfangs des Justizministeriums Baden-Württemberg würdigte die Justizministerin des Landes Marion Gentges das herausragende Wirken von Frau Schmidt für die Arbeitsgerichtsbarkeit und die gute Zusammenarbeit mit den Land Baden-Württemberg. Sie hob in diesem Zusammenhang die Bemühungen von Frau Schmidt um die Schaffung eines Zugangswegs zum elektronischen Rechtsverkehr für die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände und um die Etablierung von Videoverhandlungen im arbeitsgerichtlichen Verfahren hervor. Frau Gentges regte an, dass sich die Arbeitsgerichtsbarkeit auch weiterhin den Zukunftsthemen widmen möge.
Quelle:
Pressemitteilung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 13.09.2021