Der dringende Verdacht einer erheblichen Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten kann einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellen. Der Arbeitgeber muss aber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen haben und auch alle Umstände berücksichtigen, die den Arbeitnehmer entlasten. Insbesondere muss er dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme geben, so hat es kürzlich das LAG Mecklenburg-Vorpommern entschieden.
Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 18.Mai 2021 – 2 Sa 269/20
Eine Kündigung ist eine einseitig empfangsbedürftige Willenserklärung. Sie wird von einer Vertragspartei erklärt und ist dann wirksam, wenn die andere Partei sie empfängt. Kündigt der Arbeitgeber ein Arbeitsverhältnis, ist die Kündigung wirksam, wenn sie der/m Arbeitnehmer*in in Schriftform zugeht.
Erhebt die/der Arbeitnehmer*in innerhalb von drei Wochen Kündigungsschutzklage, ist der Arbeitgeber gehalten, eine ordentliche Kündigung zu begründen, wenn das Kündigungsschutzgesetz Anwendung findet. Das ist der Fall, wenn der Betrieb, in dem die/der Arbeitnehmer*in arbeitet, mehr als zehn Beschäftigte hat und das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt der Kündigung länger als sechs Monate besteht.
Ob eine Kündigung wirksam ist, hängt von einer Prognose ab
Einen Kündigungsgrund benötigt der Arbeitgeber stets für eine außerordentliche Kündigung, insbesondere also für eine fristlose Kündigung.
Ob ordentlich oder außerordentlich: der Kündigungsgrund muss in einem Verhalten der/s Beschäftigten oder in ihrer/seiner Person liegen. Oder die Kündigung muss aus dringenden betrieblichen Erfordernissen bedingt sein, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen.
Ob eine Kündigung dann wirksam ist, hängt immer von einer Prognose ab. Es kommt also auf Umstände an, die die mögliche Zukunft des Arbeitsverhältnisses betreffen. Im Fall einer verhaltensbedingten Kündigung kommt daher dem Vertrauen, das der Arbeitgeber in der Person des Beschäftigten hat, eine wesentliche Bedeutung zu. Mit anderen Worten: die verhaltensbedingte Kündigung stellt keine Strafe dar. Sie ist gerechtfertigt, wenn die/der Beschäftigte eine Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis schuldhaft verletzt hat und dadurch das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber*in und Arbeitnehmer*in nachhaltig gestört ist.
Die außerordentliche Kündigung erfordert eine zweistufige Prüfung
Entscheidend ist freilich nicht, ob aus der Sicht eines konkreten Arbeitgebers das Vertrauen zerstört ist. Die Rechtsprechung stellt vielmehr auf Kriterien ab, die das Vertrauen eines Arbeitgebers zerstören würde, der die Sachlage objektiv beurteilt. Will der Arbeitgeber außerordentlich kündigen, muss er das innerhalb von zwei Wochen machen, nachdem er von den Kündigungsgründen Kenntnis erlangt hat. Zudem sind die Anforderungen an die Kündigungsgründe höher als bei der ordentlichen Kündigung.
Gemäß der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) ist eine zweistufige Prüfung insoweit erforderlich: nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, die „an sich“ zur Rechtfertigung einer außerordentlichen Kündigung geeignet sind (erste Prüfungsstufe) und aufgrund derer, dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann (zweite Prüfungsstufe).
Kündigungsgrund kann auch sein, dass ein schwerwiegender Verdacht das Vertrauensverhältnis zerstört
Eigentumsdelikte, also etwa Betrug, Diebstahl und Unterschlagung, sind grundsätzlich geeignet, einen wichtigen Grund – an sich – für eine außerordentliche Kündigung bilden zu können. Will der Arbeitgeber eine außerordentliche Kündigung zum Beispiel mit einer Unterschlagung begründen, muss er diese darlegen und beweisen.
Bei verhaltensbedingten Gründen hängen die Trauben für die Arbeitgeber leider nicht ganz so hoch, wie es zunächst den Anschein hat. Das BAG lässt auch sogenannte „Verdachtskündigungen“ zu. Nicht nur eine erwiesene Vertragsverletzung kann einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung gegenüber dem verdächtigten Arbeitnehmer darstellen. Es reicht bereits der schwerwiegende Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer sonstigen arbeitsvertraglichen Verfehlung. Eine solche Kündigung begründet der Arbeitgeber damit, dass gerade der Verdacht eines strafbaren bzw. vertragswidrigen Verhaltens das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört habe.
Zulässig ist eine Verdachtskündigung, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen und die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören. Zudem muss der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen haben und auch alle Umstände berücksichtigen, die den Arbeitnehmer entlasten. Insbesondere muss er dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme geben.
Eine Servicekraft soll Geld aus der Kasse genommen haben, das sie nicht eingebongt hat
Das LAG Mecklenburg-Vorpommern hatte kürzlich einen Fall zu entscheiden, in dem ein Inhaber einer Eisdiele einer Servicekraft vorwarf, Geld ohne einzubongen aus der Kasse entnommen zu haben. Die Arbeitnehmerin war erst wenige Wochen beschäftigt, sodass das Kündigungsschutzgesetz nicht anwendbar war. Es ging also nur um die Frage, ob eine außerordentliche Kündigung wirksam ist.
An einem Abend im Juni 2019 stand ein Trinkbecher, gefüllt mit Hartmünzen, im Tresen hinter verschiedenen Dosen mit Dingen, die für die Eisgarnierung benötigt werden. Es handelte sich um 16,70 € in Münzen. Am folgenden Tag entnahm die Servicekraft diesen Betrag und teilte ihn mit einer Arbeitskollegin.
Mit Schreiben vom 30.06.2019 hat der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgerecht zum nächstmöglichen Zeitpunkt gekündigt. Hiergegen hat die Servicekraft rechtzeitig innerhalb von drei Wochen Kündigungsschutzklage erhoben und in erster Instanz obsiegt. Der Arbeitgeber war mit dem Urteil nicht einverstanden und ist beim LAG in Berufung gegangen.
Nach Auffassung des Arbeitgebers hatte die Servicekraft eindeutig für Verkäufe vereinnahmte Gelder in den Trinkbecher gelegt
Der Inhaber der Eisdiele war der Auffassung, dass die Servicekraft einen Diebstahl begangen hat. Diese hatte dagegen angegeben, dass es sich um Trinkgeld gehandelt habe, das sie und ihre Kollegin in den Becher gelegt hatten. Indessen war es dem Arbeitgeber nicht gelungen, Tatsachen vorzubringen, aus denen sich zweifelsfrei ergibt, dass die Servicekraft eindeutig für Verkäufe vereinnahmte Gelder in den Trinkbecher gelegt hat.
Das LAG hielt aber auch eine Verdachtskündigung nicht für begründet. Für eine Verdachtskündigung sei eine förmliche Anhörung des Arbeitnehmers vor Ausspruch der Kündigung erforderlich, so das Gericht. Eine derartige Anhörung sei – anders als bei der sog. Tatkündigung – Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung. Das folge aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Annahme, das für eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unabdingbare Vertrauen sei aufgrund des Verdachtes eines erheblichen Fehlverhaltens des Arbeitnehmers zerstört, sei zumindest solange nicht gerechtfertigt, wie der Arbeitgeber die zumutbaren Mittel zur Aufklärung des Sachverhaltes nicht ergriffen habe. Dazu gehöre es insbesondere, dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme zu den Verdachtsmomenten zu geben, um dessen Einlassungen bei der Entscheidungsfindung berücksichtigen zu können. Versäume der Arbeitgeber dies, könne er sich im Prozess nicht auf den Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers berufen; die hierauf gestützte Kündigung sei unwirksam.
Das Gericht konnte nach dem Vortrag des Arbeitgebers nicht davon ausgehen, dass die Arbeitnehmerin zum Vorwurf angehört worden ist
Dem Vorbringen des Arbeitgebers könne man nicht entnehmen, dass die Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Anhörung der Arbeitnehmerin zu einer Verdachtskündigung vorlägen. Es sei nicht erkennbar, welche konkreten Vorhaltungen der Arbeitgeber der Arbeitnehmerin gegenüber getätigt hat und mit welchen Verdachtsmomenten sie im Einzelnen konfrontiert werden soll. Soweit der Arbeitgeber vortrage, die Arbeitnehmerin hätte geleugnet, werde nicht klar, worauf sich dieses Leugnen beziehe. Sie habe vielmehr unstreitig eingeräumt, die Münzen aus dem Trinkbecher an sich genommen zu haben. Das Gericht könne nach dem Vortrag des Arbeitgebers daher nicht davon ausgehen, dass die Arbeitnehmerin zum Vorwurf angehört worden sei.
Das LAG war zudem der Auffassung, dass auch kein dringender Tatverdacht bestanden hat. Allein der Umstand, dass der Becher mit den Münzen versteckt im Tresen gestanden habe und angeblichen Äußerungen der Arbeitnehmerin seien nicht geeignet, eine Dringlichkeit des Verdachts zu begründen.
Der Arbeitgeber hätte widerlegen müssen, dass es sich um Trinkgeld gehandelt hat
Soweit die Servicekraft behaupte, es habe sich bei den Münzen im Becher um Trinkgeld gehandelt, stelle sie ein Geschehen dar, das nach allgemeiner Lebenserfahrung zutreffen könne. Da der Arbeitgeber für alle Kündigungsgründe darlegungs- und beweisbelastet ist und auch etwaige durch die Arbeitnehmerin behauptete Rechtfertigungs- bzw. Entschuldigungsgründe ausräumen müsse, hätte der Arbeitgeber diesen Geschehensablauf unter Beweisantritt widerlegen müssen.
Dazu hätte er diejenigen Tatsachen vortragen müssen, aus denen sich ergebe, dass sich in dem Becher nicht Trinkgeld befunden habe und das hätte er auch hätte er unter Beweis stellen müssen. Dies sei nicht geschehen.
Der Arbeitgeber irre, wenn er davon ausgehe, aufgrund seines Bestreitens müsse die Klägerin die Behauptung, es habe sich in dem Getränkebecher um Trinkgeld gehandelt, beweisen. Vielmehr unterliege der Beklagte, der sich auf die Wirksamkeit der Kündigung beruft, bezüglich der die Kündigung begründenden Tatsachen der Beweislast.
Hier geht es zur Entscheidung des LAG:
https://openjur.de/u/2346116.html
Wichtige Vorschrift:
§ 626 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
Fristlose Kündigung aus wichtigem Grund
(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.