Der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht für die Dauer einer Sperrzeit, wenn sich die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer „versicherungswidrig“ verhalten hat, ohne dafür einen wichtigen Grund gehabt zu haben. So ist es im 3. Sozialgesetzbuch geregelt. Erforderlich ist insoweit aber, dass die Arbeitsagentur den Arbeitslosen über den Beginn der angedrohten Sperrzeit informiert hat. Ein pauschaler Hinweis auf das „Merkblatt für Arbeitslose, Ihre Rechte – Ihre Pflichten“ reicht insoweit nicht aus.
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23. Juni 2021 – L 11 AL 95/19
Versicherungswidrig verhalten sich Arbeitslose z.B., wenn sie eine angebotene Beschäftigung nicht annehmen oder antreten. Dasselbe gilt, wenn sie sich so verhalten, dass der potenzielle Arbeitgeber sie nicht einstellt oder nicht einmal zum Vorstellungsgespräch lädt. Eine Sperrzeit setzt aber voraus, dass die/der Betroffene der Agentur für Arbeit über die Rechtsfolgen seines „versicherungswidrigen“ Verhaltens belehrt wird. Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hatte kürzlich einen Fall zu entscheiden, bei dem es um die Frage ging, ob eine Belehrung ausreichend gewesen ist.
Die Agentur für Arbeit hatte mit einem arbeitslosen „Wirtschaftsingenieur Maschinenbau“ eine Eingliederungsvereinbarung geschlossen, in der als Ziel vereinbart wurde, dass der Arbeitslose eine Beschäftigung am ersten Arbeitsmarkt als Wirtschaftsingenieur/Logistiker in einem Umkreis von 200 km vom Wohnort annimmt. Zugleich bekam der Ingenieur einen Vermittlungsvorschlag für eine Beschäftigung als Projektleiter bei der J. GmbH überreicht. In diesem Schreiben forderte die Arbeitsagentur ihn auf, sich dort unverzüglich zu bewerben.
Der Ingenieur teilte der Arbeitsagentur mit, dass er sich auf das Stellenangebot nicht beworben habe
Ob der Ingenieur an diesem Tag gegenüber der Agentur für Arbeit zusagte, sich auf diese Stelle zu bewerben, ist zwischen den Beteiligten streitig. In die Verwaltungsakte der Arbeitsagentur gab es eine Kopie des Vermittlungsvorschlags. Auf deren Rückseite befand sich eine Rechtsfolgenbelehrung. Dort heißt es u.a. wörtlich:
„Wenn Sie ohne wichtigen Grund (…) das Zustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses durch ihr Verhalten verhindern (zB indem Sie sich nicht vorstellen), tritt eine Sperrzeit ein (…). Während der Sperrzeit ruht ihr Anspruch auf Leistungen (….). Hinweise dazu, unter welchen Voraussetzungen ein Anspruch auf Alg erworben wird und wann eine Sperrzeit eintritt, enthält das „Merkblatt für Arbeitslose, Ihre Rechte – Ihre Pflichten“.
Mit einem Schreiben vom 19. Juli 2017 teilte der der Ingenieur der Arbeitsagentur mit, dass er sich auf das Stellenangebot nicht beworben habe, weil er keine beruflichen/fachlichen Erfahrungen im Sanitärbereich aufweise.
Die Arbeitsagentur stellte daraufhin den Eintritt einer dreiwöchigen Sperrzeit bei Arbeitsablehnung für die Zeit vom 29. Juni bis 19. Juli 2017 sowie eine Minderung der Anspruchsdauer um 21 Tage fest. Zugleich forderte die sie 1.395,03 Euro an Arbeitslosengeld zurück.
Der arbeitslose Ingenieur bestreitet, dass die Arbeitsagentur ihn belehrt hat
Nachdem der Ingenieur gegen diesen Bescheid erfolglos ein Widerspruchsverfahren geführt hatte, erhob er Klage vor dem Sozialgericht Braunschweig. Er bestritt, dass sich auf dem Schreiben, dass er von der Arbeitsagentur bekommen hatte, die zitierte Rechtsfolgenbelehrung befunden habe. Das Sozialgericht gab ihm Recht, weil die Arbeitsagentur nicht nachweisen konnte, dass sich die Rechtsfolgenbelehrung auch auf dem Original befunden habe.
Gegen das Urteil ging die Bundesagentur für Arbeit in Berufung vor dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG). Sie machte geltend, dass sich der Ingenieur bis zum 6. Februar
2017 auf keines der ihm von der Arbeitsagentur übermittelten Stellenangebote beworben habe. Er habe diese als für sich fachlich nicht geeignet angesehen. Bereits in einem Beratungsgespräch vom 6. Februar 2017 sei ihm erläutert worden, dass er sich auch auf Stellen bewerben solle bzw. müsse, die keine hundertprozentige Übereinstimmung mit seinen Fähigkeiten aufwiesen.
Das LSG geht davon aus, dass der Ingenieur die Belehrung erhalten hatte, die sich in der Akte befindet
Der Ingenieur bestritt indessen, dass die Arbeitsagentur ihn in den Beratungsgesprächen informiert habe, dass zukünftige Vermittlungsvorschläge mit einer Rechtsfolgenbelehrung versehen würden und ggf. die in den Belehrungen genannten Konsequenzen eintreten würden. Ein Gespräch dieses Inhalts habe nicht stattgefunden.
Das LSG ging anders als das Sozialgericht davon aus, dass in Übereinstimmung mit der Aktenlage sowie dem Vortrag der Bundesagentur für Arbeit vieles dafürspräche, dass der Vermittlungsvorschlag auf Seite 2 (Rückseite) eine Rechtsfolgenbelehrung enthielt. Schließlich sei gleichzeitig mit dem Papierausdruck ein Aktenexemplar hiervon „in die elektronisch geführte Akte gedruckt“, also als elektronisches Dokument in die elektronisch geführten Verwaltungsakte gespeichert. Der in die Verwaltungsakte der Beklagten gespeicherte Vermittlungsvorschlag habe auf Seite 2 eine entsprechende Rechtsfolgenbelehrung enthalten.
Ein unvollständiger Ausdruck dieser Datei (lediglich Seite 1 statt beide Seiten) sei zwar nicht
ausgeschlossen, aber eher unwahrscheinlich, da das zweiseitige elektronische Dokument gleichzeitig mit dem Ausdruck gespeichert worden sei. Zudem habe die zuständige Sachbearbeiterin der Arbeitsagentur am Tag des Beratungsgesprächs sowie Ende Juli 2017 nochmals in Aktenvermerken festgehalten, dass der Vermittlungsvorschlag am 27. Juni 2017 mit
dem Ingenieur besprochen und sodann einschließlich Rechtsfolgenbelehrung an ihn übergeben
worden sei. Den Vortrag des Ingenieurs hielt das LSG nicht für glaubwürdig.
Der Bescheid der Arbeitsagentur war aber rechtswidrig, wie der Ingenieur nicht über den Beginn der Sperrzeit informiert wurde
Die Entscheidung der Bundesagentur war nach Auffassung des LSG aber gleichwohl rechtswidrig. Das BSG habe nämlich ausdrücklich entschieden, dass nicht nur über die Dauer der zu erwartenden Leistungseinschränkung, sondern auch über deren Beginn zu belehren sei (Urteil
vom 18. Februar 2010 – B 14 AS 53/08 R -, Rn 22). Dieser Rechtsprechung werde – so weit
ersichtlich – allgemein gefolgt.
Die auf Seite 2 des Vermittlungsvorschlags befindliche Rechtsfolgenbelehrung enthalte keine ausreichende Belehrung über den Beginn der drohenden Sperrzeit. Vielmehr heiße es dort lediglich „Hinweise dazu, unter welchen Voraussetzungen ein Anspruch auf Alg erworben wird und wann eine Sperrzeit eintritt, enthält das „Merkblatt für Arbeitslose, Ihre Rechte – Ihre Pflichten“. Ein solcher Hinweis auf das einschlägige Merkblatt erfülle nicht die Anforderungen an eine wirksame Rechtsfolgenbelehrung.
Unabhängig davon gehe der Verweis auf das Merkblatt im vorliegenden Fall ins Leere: Das in
Bezug genommene Merkblatt enthalte weder im Abschnitt Sperrzeit noch auf irgendeiner anderen im Stichwortverzeichnis des Merkblatts für das Stichwort „Sperrzeit“ angegebenen Seitenzahl Ausführungen über den Beginn einer Sperrzeit bei Arbeitsablehnung.
Für die Wirksamkeit einer Rechtsfolgenbelehrung sei zwar nicht zwingend erforderlich, dass ein konkretes Datums als Beginn der drohenden Sperrzeit genannt würde. Dem stünde oftmals die Vielzahl der denkbaren Handlungen entgegen, durch die sich eine Arbeitsablehnung
manifestieren könne. Im vorliegenden Fall sei die Sperrzeit auch nicht deshalb unwirksam, wie ein konkretes Datum fehle. Entscheidend sei vielmehr, dass jegliche Belehrung über den Zeitpunkt fehle, an dem die angedrohte Sperrzeit wegen Arbeitsablehnung beginne.
Hier geht es zur Entscheidung des LSG Niedersachsen-Bremen:
Wichtige Vorschrift:
§ 159 Sozialgesetzbuch III
Ruhen bei Sperrzeit
(1) Hat die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer sich versicherungswidrig verhalten, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben, ruht der Anspruch für die Dauer einer Sperrzeit. Versicherungswidriges Verhalten liegt vor, wenn
1.
die oder der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst oder durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat (Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe),
2.
die bei der Agentur für Arbeit als arbeitsuchend gemeldete (§ 38 Absatz 1) oder die arbeitslose Person trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine von der Agentur für Arbeit unter Benennung des Arbeitgebers und der Art der Tätigkeit angebotene Beschäftigung nicht annimmt oder nicht antritt oder die Anbahnung eines solchen Beschäftigungsverhältnisses, insbesondere das Zustandekommen eines Vorstellungsgespräches, durch ihr Verhalten verhindert (Sperrzeit bei Arbeitsablehnung),
3.
die oder der Arbeitslose trotz Belehrung über die Rechtsfolgen die von der Agentur für Arbeit geforderten Eigenbemühungen nicht nachweist (Sperrzeit bei unzureichenden Eigenbemühungen),
4.
die oder der Arbeitslose sich weigert, trotz Belehrung über die Rechtsfolgen an einer Maßnahme zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung (§ 45) oder einer Maßnahme zur beruflichen Ausbildung oder Weiterbildung oder einer Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben teilzunehmen (Sperrzeit bei Ablehnung einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme),
5.
die oder der Arbeitslose die Teilnahme an einer in Nummer 4 genannten Maßnahme abbricht oder durch maßnahmewidriges Verhalten Anlass für den Ausschluss aus einer dieser Maßnahmen gibt (Sperrzeit bei Abbruch einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme),
6.
die oder der Arbeitslose sich nach einer Aufforderung der Agentur für Arbeit weigert, trotz Belehrung über die Rechtsfolgen an einem Integrationskurs nach § 43 des Aufenthaltsgesetzes oder an einem Kurs der berufsbezogenen Deutschsprachförderung nach § 45a des Aufenthaltsgesetzes teilzunehmen, der jeweils für die dauerhafte berufliche Eingliederung notwendig ist (Sperrzeit bei Ablehnung eines Integrationskurses oder einer berufsbezogenen Deutschsprachförderung),
7.
die oder der Arbeitslose die Teilnahme an einem in Nummer 6 genannten Kurs abbricht oder durch maßnahmewidriges Verhalten Anlass für den Ausschluss aus einem dieser Kurse gibt (Sperrzeit bei Abbruch eines Integrationskurses oder einer berufsbezogenen Deutschsprachförderung),
8.
die oder der Arbeitslose einer Aufforderung der Agentur für Arbeit, sich zu melden oder zu einem ärztlichen oder psychologischen Untersuchungstermin zu erscheinen (§ 309), trotz Belehrung über die Rechtsfolgen nicht nachkommt oder nicht nachgekommen ist (Sperrzeit bei Meldeversäumnis),
9.
die oder der Arbeitslose der Meldepflicht nach § 38 Absatz 1 nicht nachgekommen ist (Sperrzeit bei verspäteter Arbeitsuchendmeldung).
Die Person, die sich versicherungswidrig verhalten hat, hat die für die Beurteilung eines wichtigen Grundes maßgebenden Tatsachen darzulegen und nachzuweisen, wenn diese Tatsachen in ihrer Sphäre oder in ihrem Verantwortungsbereich liegen.
(2) Die Sperrzeit beginnt mit dem Tag nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet, oder, wenn dieser Tag in eine Sperrzeit fällt, mit dem Ende dieser Sperrzeit. Werden mehrere Sperrzeiten durch dasselbe Ereignis begründet, folgen sie in der Reihenfolge des Absatzes 1 Satz 2 Nummer 1 bis 9 einander nach.
(3) Die Dauer der Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe beträgt zwölf Wochen. Sie verkürzt sich
1.
auf drei Wochen, wenn das Arbeitsverhältnis innerhalb von sechs Wochen nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet, ohne eine Sperrzeit geendet hätte,
2.
auf sechs Wochen, wenn
a)
das Arbeitsverhältnis innerhalb von zwölf Wochen nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet, ohne eine Sperrzeit geendet hätte oder
b)
eine Sperrzeit von zwölf Wochen für die arbeitslose Person nach den für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Tatsachen eine besondere Härte bedeuten würde.
(4) Die Dauer der Sperrzeit bei Arbeitsablehnung, bei Ablehnung einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme, bei Abbruch einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme, bei Ablehnung eines Integrationskurses oder einer berufsbezogenen Deutschsprachförderung oder bei Abbruch eines Integrationskurses oder einer berufsbezogenen Deutschsprachförderung beträgt
1.
im Fall des erstmaligen versicherungswidrigen Verhaltens dieser Art drei Wochen,
2.
im Fall des zweiten versicherungswidrigen Verhaltens dieser Art sechs Wochen,
3.
in den übrigen Fällen zwölf Wochen.
Im Fall der Arbeitsablehnung oder der Ablehnung einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme nach der Meldung zur frühzeitigen Arbeitsuche (§ 38 Absatz 1) im Zusammenhang mit der Entstehung des Anspruchs gilt Satz 1 entsprechend.
(5) Die Dauer einer Sperrzeit bei unzureichenden Eigenbemühungen beträgt zwei Wochen.
(6) Die Dauer einer Sperrzeit bei Meldeversäumnis oder bei verspäteter Arbeitsuchendmeldung beträgt eine Woche.