Anspruch auf Tarifentgelt eines Auszubildenden bei fehlender Ausbildung

Ein Berufsausbildungsverhältnis ist kein Arbeitsverhältnis, weil beide Vertragsverhältnisse unterschiedliche Pflichtenbindungen aufweisen. Es geht bei der Ausbildung nicht darum, dass der Auszubildende gegen Zahlung eines Entgelts Arbeitsleistungen erbringt. Es geht darum, dem Auszubildenden Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln, damit er die Ausbildung erfolgreich beenden kann. Das musste das Arbeitsgericht Bonn kürzlich einem Gebäudereiniger ins Stammbuch schreiben.

Arbeitsgericht Bonn, Urteil vom 8. Juli 2021 – 1 Ca 308/21  

Maik Schneider (Name von der Redaktion geändert) hat zum 01.09.2020 mit der BlitzBlank GmbH (Name von der Redaktion geändert) einen Ausbildungsvertrag zum Gebäudereiniger abgeschlossen. Die Parteien vereinbarten eine Ausbildungsvergütung in Höhe von 775,00 EUR brutto im Monat. Die BlitzBlank GmbH meldete jedoch weder das Ausbildungsverhältnis bei der Gebäudereiniger-Innung noch Herrn Schneider bei der Berufsschule an. Er erstellte auch keinen Ausbildungsplan für ihn.

Die „Ausbildung“ erschöpfte sich darin, dass ein Arbeitskollege Maik Schneider einmal in seine Tätigkeit eingewiesen hatte. Sodann wurde Maik mit einer Wochenarbeitszeit von 39 Stunden als Reinigungskraft eingesetzt und erhielt hierfür die vereinbarte Ausbildungsvergütung.

Statt Ausbildung erwartete Maik Schneider Arbeit zu einem Hungerlohn

Die BlitzBlank GmbH ist also ihrer eigentlichen vertraglichen Pflicht nicht nachgekommen. Maik Schneider hat vielmehr für das Unternehmen gearbeitet wie andere Beschäftigte auch, denen der Arbeitgeber Tariflohn zahlen musste. Der angebliche Auszubildende hat somit Dienstleistungen erbracht, für die den Umständen nach nur eine Vergütung zu erwarten ist.

Maik Schneider hat sich gegen diese Behandlung gewehrt. Er hätte gegen die BlitzBlank GmbH einen Anspruch auf Schadensersatz, da diese ihre vertraglichen Pflichten schuldhaft verletzt hat. Geltend gemacht hat er indessen rückwirkend tarifgemäße Bezahlung. Und das Arbeitsgericht gab ihm Recht.

Herrn Schneider stünde in entsprechender Anwendung von § 612 BGB ein Anspruch auf die übliche Vergütung eines ungelernten Arbeitnehmers zu, da er in Wirklichkeit nach Art und Umfang seiner Arbeit wie eine ungelernte Kraft beschäftigt worden sei. Ein Auszubildender, der als Arbeitnehmer eingesetzt werde, ohne ausgebildet zu werden, erbringe Leistungen, zu denen er auf der Grundlage seines Ausbildungsvertrages nicht verpflichtet sei.

Herr Schneider hat Anspruch auf tarifliches Arbeitsentgelt

Damit seien die von dem Auszubildenden erbrachten Leistungen nicht durch die Zahlung seiner Ausbildungsvergütung abgegolten, sondern diese seien in entsprechender Anwendung von § 612 BGB in Höhe der üblichen Vergütung eines vergleichbaren Arbeitnehmers zu bezahlen.

Da Maik Schneider als ungelernte Kraft in der Gebäudereinigung beschäftigt werde, habe er Anspruch auf die tarifliche Vergütung nach der Lohngruppe 1 des Rahmentarifvertrages für die gewerblichen Beschäftigten in der Gebäudereinigung.

Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Gegen das Urteil kann Berufung beim Landesarbeitsgericht Köln eingelegt werden.

Hier geht es zur Pressemeldung des Arbeitsgerichts Bonn:https://www.justiz.nrw.de/JM/Presse/presse_weitere/PresseLArbGs/30_08_2021_/index.php

Wichtige Vorschrift:

§ 612 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

Vergütung

(1) Eine Vergütung gilt als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist.

(2) Ist die Höhe der Vergütung nicht bestimmt, so ist bei dem Bestehen einer Taxe die taxmäßige Vergütung, in Ermangelung einer Taxe die übliche Vergütung als vereinbart anzusehen.

(3) (weggefallen)