Eine betriebsbedingte Kündigung ist kein Auffangtatbestand für eine missglückte verhaltensbedingte Kündigung

Organisatorische Maßnahmen eines Unternehmens, wegen denen Arbeitsplätze wegfallen, darf ein Gericht nicht daraufhin überprüfen, ob sie sachlich gerechtfertigt sind. Gerichte müssen in der Regel davon ausgehen. Anders ist das in Fällen, in denen die Organisationsentscheidung des Arbeitgebers und sein Kündigungsentschluss praktisch deckungsgleich sind, urteilte kürzlich das Landesarbeitsgericht Köln.

Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 8. Juni 2021 – 6 Sa 723/20

Will ein Arbeitgeber einer/m Beschäftigten kündigen, braucht er einen Kündigungsgrund. Jedenfalls dann, wenn das Kündigungsschutzgesetz Anwendung findet. Die Kündigung muss entweder personenbedingt, verhaltensbedingt oder durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt sein. Klagt ein Beschäftigter vor dem Arbeitsgericht gegen eine Kündigung, ist der Arbeitgeber gehalten, den Kündigungsgrund substantiiert darzulegen und im Zweifel auch zu beweisen.

Genau das war das Problem eines Getränkegroßvertriebes, bei dem Marco Seiler (Name von der Redaktion geändert) als Bezirksleiter beschäftigt ist. Das Unternehmen war offensichtlich mit der Arbeit des Herrn Seiler nicht zufrieden und suchte nach Kündigungsgründen.

Marco Seiler soll manipuliert haben

Jedenfalls bekam er im Dezember 2019 ein Schreiben, mit dem der Getränkegroßvertrieb das Arbeitsverhältnis fristlos und hilfsweise fristgerecht kündigte. Zugleich teilte der Arbeitgeber die folgenden Kündigungsgründe mit: Marco Seiler habe sechs Fantasie-Kunden im IT-System angelegt. Er habe diesen Fantasiekunden einen Rabatt von 95 % eingerichtet. Innerhalb eines Monats habe es mit diesen Fantasie-Kunden 423 Geschäftsvorgänge gegeben. Bei allen diesen Geschäftsvorgängen sei das Leergut 1 : 1 abgerechnet worden, als ob tatsächlich Leergut zurückgegeben worden wäre.

Der Arbeitgeber warf Herrn Seiler also Manipulationen vor. Allerdings war sein Vortrag im Gerichtsverfahren so dünn, dass sowohl Arbeitsgericht als auch Landesarbeitsgericht dem Arbeitnehmer Recht gaben. Dem Unternehmer gelang es nicht, seinem Beschäftigten ein Fehlverhalten nachzuweisen, das eine Kündigung rechtfertigt. Auch reichte sein Vortrag nicht aus, um eine Verdachtskündigung zu begründen.

Wenn verhaltensbedingt nicht reicht, ändere ich einmal schnell meine Organisation, meinte der Arbeitgeber

Im Berufungsverfahren dachte der Unternehmer sich noch einen Trick aus, den er wohl für genial hielt: die Kündigung sei auch durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, meinte er. Nach den „schlechten Erfahrungen“ habe das Unternehmen sich nunmehr entschlossen, die vom Kläger bisher zu erfüllenden Aufgaben auf die Mitarbeiter L A (Geschäftsführer), A A und J zu verteilen.

Der Kniff war indessen doch zu einfältig.

Dringende betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes können sich nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aus innerbetrieblichen oder außerbetrieblichen Gründen ergeben. Innerbetriebliche Gründe liegen vor, wenn sich der Arbeitgeber zu einer organisatorischen Maßnahme entschließt, bei deren Umsetzung das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer entfällt. Eine solche unternehmerische Entscheidung ist gerichtlich grundsätzlich nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen, sondern nur darauf, ob sie offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist. Nachzuprüfen ist aber, ob die fragliche Entscheidung tatsächlich umgesetzt wurde und dadurch das Beschäftigungsbedürfnis für einzelne Arbeitnehmer entfallen ist.  

Allerdings könne in Fällen, in denen die Organisationsentscheidung des Arbeitgebers und sein Kündigungsentschluss praktisch deckungsgleich seien, die ansonsten berechtigte Vermutung, die fragliche Entscheidung sei aus sachlichen Gründen erfolgt, nicht unbesehen greifen, meint das LAG Köln.  

Grundsätzlich müssen Kündigungsgründe außerhalb der Kündigung selbst liegen

Da die Kündigung nach dem Gesetz an das Vorliegen von Gründen gebunden sei, die außerhalb ihrer selbst liegen, müsse der Arbeitgeber in solchen Fällen seine Entscheidung hinsichtlich ihrer organisatorischen Durchführbarkeit und zeitlichen Nachhaltigkeit verdeutlichen. Daran fehle es, wenn die Kündigung dazu führe das im Betrieb verbliebenen Personals überfordert oder benachteiligt würde. Die zugrunde liegende unternehmerische Entscheidung dürfe auch nicht lediglich Vorwand dafür sein, bestimmte Arbeitnehmer aus dem Betrieb zu drängen, obwohl Beschäftigungsbedarf und Beschäftigungsmöglichkeiten objektiv fortbestünden und etwa nur der Inhalt des Arbeitsvertrags als zu belastend angesehen werde.

Liefe die unternehmerische Entscheidung auf die Streichung eines einzelnen Arbeitsplatzes hinaus verbunden mit einer Umverteilung der dem betroffenen Arbeitnehmer bisher zugewiesenen Aufgaben, müsse der Arbeitgeber konkret erläutern, in welchem Umfang und aufgrund welcher Maßnahmen die bisher vom gekündigten Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten für diesen zukünftig entfielen, so das Gericht weiter. Nur so könne man nämlich prüfen geprüft, ob die Entscheidung den dargestellten Voraussetzungen genüge.

Eine betriebsbedingte Kündigung ist kein Auffangtatbestand

Um dem Verdacht des Missbrauchs zu umgehen, müsse der Arbeitgeber die Auswirkungen seiner unternehmerischen Vorgaben und Planungen auf das erwartete Arbeitsvolumen anhand einer schlüssigen Prognose im Einzelnen darstellen und angeben, wie die anfallenden Arbeiten vom verbliebenen Personal ohne überobligationsmäßige Leistungen, das heißt im Rahmen ihrer vertraglich geschuldeten regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit erledigt werden könnten.

Zusammengefasst bedeute das, dass die betriebsbedingte Kündigung kein Auffangtatbestand für Sachverhalte sei, in denen die Tatsachen zur Begründung einer verhaltensbedingten oder personenbedingten Kündigung nicht ausreichen würde.

Hier geht es zur Entscheidung des LAG Köln:

https://openjur.de/u/2346918.html