Hessisches Finanzgericht: Steuerermäßigung für Abfindungen im Rahmen einer “Sprinterklausel“

Wird eine zusätzlich gezahlte Abfindung nach Wahrnehmung einer sog. „Sprinterklausel“ gezahlt, so ist diese ermäßigt zu besteuern. Denn in diesem Fall kann die Kündigung durch den Arbeitnehmer nicht separat, sondern nur im Zusammenhang mit der Auflösung des Arbeits­verhältnisses insgesamt betrachtet werden. Zu diesem Ergebnis kam das Hessische Finanzgericht mit seiner Entscheidung vom 31. Mai 2021

Hessisches Finanzgericht, Gerichtsbescheid vom 31.5.2021 – Az: 10 K 1597/20 – (rechtskräftig)

Arbeitnehmerin begehrt Steuerermäßigung für zusätzliche Abfindung

Eine Arbeitnehmerin hatte mit ihrem Arbeitgeber zusätzlich zu einem Vertrag über die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses mit einer Abfindung eine sog. „Sprinterklausel“ vereinbart. Hierdurch wurde der Arbeitnehmerin das Recht eingeräumt, gegen einen weiteren Abfindungsbetrag das Arbeitsverhältnis vor dem eigentlich vereinbarten Zeitpunkt zu beenden. Von diesem Recht machte sie Gebrauch. Sie erhielt die weitere Abfindung da das Arbeitsverhältnis vor dem vereinbarten Zeitpunkt sein Ende fand.

Finanzamt verweigert ermäßigte Besteuerung für weitere Abfindung

Das Finanzamt (FA) gewährte die ermäßigte Besteuerung nur für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses vereinbarte Abfindung.

Für die weitere, aufgrund der Ausübung der „Sprinterklausel“, gezahlte Abfindung wurde der normale Steuersatz in Ansatz gebracht. Das FA begründete seine Entscheidung mit einem Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 8.Februar 2018- Az. 1 K 279/17), welches die Ausübung der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses als neues auslösendes Ereignis gewertet hatte. Gegen die Entscheidung des FA klagte die Arbeitnehmerin beim Hessischen Finanzgericht.

Finanzgericht kippt Entscheidung des Finanzamts

Anders als das FA entschied das Hessische Finanzgericht (FG). Es gab der Klage in dem von der Klägerin beantragten Sinne statt.

Regelmäßig, so das Gericht, erfolgt die einvernehmliche Auflösung eines Arbeitsverhältnisses (auch) im Interesse des Arbeitgebers. Mithin sei eine im Gegenzug gezahlte Abfindung in der Regel als Entschädigung ermäßigt zu besteuern. Dies gelte grundsätzlich auch für eine (zusätzliche) Abfindung, die für die (vorzeitige) Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Wahrnehmung einer sogenannten „Sprinterklausel“ gezahlt wird. In einem solchen Fall könne die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer nicht separat, sondern nur im Zusammenhang mit der Auflösung des Arbeitsverhältnisses insgesamt betrachtet werden. Mithin sei der weitere Abfindungsbetrag gemäß § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 und § 24 Nr. 1 a Einkommensteuergesetz (EstG) ermäßigt zu besteuern. Dies ergebe sich daraus, dass die aufgrund der „Sprinterklausel“ gezahlte Abfindung ihren Rechtsgrund in der Aufhebungsvereinbarung finde und nicht getrennt davon zu betrachten sei.

Hier geht es zur Pressemitteilung des Hessischen Finanzgerichts vom 27.7.2021:

https://finanzgerichtsbarkeit.hessen.de/pressemitteilungen/eine-zus%C3%A4tzlich-gezahlte-abfindung-die-nach-wahrnehmung-einer-sog-

Rechtsgrundlage: Auszüge aus § 34 EstG und § 24 EstG

Einkommensteuergesetz (EStG)
§ 34 Außerordentliche Einkünfte

  • 1Sind in dem zu versteuernden Einkommen außerordentliche Einkünfte enthalten, so ist die auf alle im Veranlagungszeitraum bezogenen außerordentlichen Einkünfte entfallende Einkommensteuer nach den Sätzen 2 bis 4 zu berechnen. 2Die für die außerordentlichen Einkünfte anzusetzende Einkommensteuer beträgt das Fünffache des Unterschiedsbetrags zwischen der Einkommensteuer für das um diese Einkünfte verminderte zu versteuernde Einkommen (verbleibendes zu versteuerndes Einkommen) und der Einkommensteuer für das verbleibende zu versteuernde Einkommen zuzüglich eines Fünftels dieser Einkünfte. 3Ist das verbleibende zu versteuernde Einkommen negativ und das zu versteuernde Einkommen positiv, so beträgt die Einkommensteuer das Fünffache der auf ein Fünftel des zu versteuernden Einkommens entfallenden Einkommensteuer. 4Die Sätze 1 bis 3 gelten nicht für außerordentliche Einkünfte im Sinne des Absatzes 2 Nummer 1, wenn der Steuerpflichtige auf diese Einkünfte ganz oder teilweise § 6b oder § 6c anwendet.

(2) Als außerordentliche Einkünfte kommen nur in Betracht:

2. Entschädigungen im Sinne des § 24 Nummer 1;


§ 24 
Einkommensteuergesetz (EStG)

Zu den Einkünften im Sinne des § 2 Absatz 1 gehören auch

1.

Entschädigungen, die gewährt worden sind

a)

als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen

Für Interessierte:

Hier geht es zum Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 8.Februar 2018- Az. 1 K 279/17

Anmerkung des Autors: Was ist unter einer „Sprinterklausel“ zu verstehen?

Durch die Vereinbarung einer sogenannten „Sprinterklausel“, manchmal auch „Turboklausel“ genannt, besteht für den/die Arbeitnehmer*in die Möglichkeit durch eine einseitige schriftliche Erklärung das Arbeitsverhältnis vor dem in einem Aufhebungsvertrag vorgesehenen Beendigungstermin aufzulösen.

Die Vereinbarung einer „Sprinterklausel“ ist auch im Rahmen eines arbeitsgerichtlichen Vergleichs möglich, in dem die Zahlung einer bestimmten Abfindung zum Zeitpunkt der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses vereinbart und eine weitere Abfindung bei vorzeitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses zugesagt wird.

Macht der /die Arbeitnehmer*in von der „Sprinterklausel“ Gebrauch und beendet das Arbeitsverhältnis vorzeitig, entfällt für diesen Zeitraum die ansonsten von dem Arbeitgeber an den/die Arbeitnehmer*in zu zahlende Vergütung.

Die in einer „Sprinterklausel“ vereinbarte vorzeitige Ausscheidensregelung sieht für das vorzeitige Ausscheiden des Arbeitnehmers eine Regelung vor, nach der die ersparte Vergütung zu einer Erhöhung der zu zahlenden Abfindung führt.

Für Arbeitnehmer*in und Arbeitgeber*in kann die Vereinbarung einer „Sprinterklausel“ grundsätzlich von Vorteil sein.

Für den/die Arbeitnehmer*in kann die Vereinbarung einer „Sprinterklause“ dann von Interesse sein, wenn die Möglichkeit besteht, zeitnah ein neues Arbeitsverhältnis einzugehen, um somit die ersparte Vergütung als Abfindung und auch das Entgelt bei dem neuen Arbeitgeber zu erhalten.

Auch für den/die Arbeitgeber*in kann die Vereinbarung einer „Sprinterklausel“ Sinn machen, da hierdurch im Fall des vorzeitigen Ausscheidens des/der Beschäftigten die Beiträge zur Sozialversicherung nicht anfallen. Denn Abfindungen sind anders als Gehaltszahlungen nicht sozialversicherungspflichtig.

Vorsicht !!!

Beim Abschluss einer „Sprinterklausel“ ist zu beachten, dass diese der zwingenden Schriftform (§ 623 BGB) unterliegt. Mündliche Absprachen sind nichtig.

Wird eine „Sprinterklausel“ im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs vereinbart, bedarf dies keiner gesonderten schriftlichen Vereinbarung zwischen den Parteien.

Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) § 623 Schriftform der Kündigung

Die Beendigung von Arbeitsverhältnissen durch Kündigung oder Auflösungsvertrag bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform; die elektronische Form ist ausgeschlossen.

Hessisches Finanzgericht contra Niedersächsischem Finanzgericht!

Widersprechende Rechtsprechung!

Da die für die Frage der Versteuerung von Abfindungen, die aufgrund einer „Sprinterklausel“ gezahlt werden – so weit ersichtlich – noch kein Urteil des Bundesfinanzhofs existiert, sollten Arbeitnehmer*innen, die eine weitere Abfindung aufgrund der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhalten haben, wie folgt vorgehen:

Wenn das zuständige Finanzamt die „Sprinterklausel-Abfindung“ voll versteuert, sollte unter Hinweis auf die Entscheidung des Hessischen Finanzgerichts Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid eingelegt werden. Wird diesem nicht abgeholfen, empfiehlt sich eine Klage beim Finanzgericht. Folgt das zuständige Finanzgericht der Rechtsauffassung des Hessischen Finanzgerichts, dann dürfte die Sache im Sinne des/der betroffenen Arbeitnehmers*in erledigt sein. Wenn jedoch die Klage erfolglos sein sollte, wird das Gericht wohl die Revision um Bundesfinanzhof zulassen müssen, der eine endgültige und für alle bundesdeutschen Finanzämter und Finanzgerichte verbindliche Entscheidung zu treffen hat.