Medizin ist notwendig, wenn sie für eine medizinisch Behandlung geboten ist, die der dazu dient, die Gesundheit wieder zu erlangen, Leiden zu bessern oder lindern sowie körperliche oder geistige Beeinträchtigungen auszugleichen. Wenn sie ein Arzt verordnet hat, kann man hiervon aufgrund seiner Sachkunde grundsätzlich ausgehen.
Oberverwaltungsgericht des Saarlandes, Urteil vom 8. Juni 2021 – 1 A 204/19
Die meisten Beamt*innen erhalten in Deutschland grundsätzlich eine finanzielle Unterstützung unter anderem in Krankheitsfällen, die sogenannte Beihilfe. Die Beamtengesetze des Bundes und der Länder enthalten Ermächtigungen für Beihilfeverordnungen, nach denen die Voraussetzungen für die Beihilfe geregelt sind.
Die Beihilfe hat ihre Grundlage in der Fürsorgepflicht des Dienstherrn und stellt keinen hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums dar. Will man prüfen, ob Beihilfevorschriften verfassungsgemäß sind, ist aber der Gleichheitssatz (Artikel 3 Grundgesetz) in seinem verfassungsrechtlich geschützten Kernbereich zu beachten.
Bundesverfassungsgericht: der Verordnungsgeber darf Medikamente ausschließen, die nicht verschreibungspflichtig sind
Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Entscheidung von 2011 betont, dass der allgemeine Gleichheitssatz dann verletzt sei, wenn eine bestimmte Regelung die im Beihilfensystem angelegte Sachgesetzlichkeit ohne zureichenden Grund verlasse. Der Vorschriftengeber dürfe sich innerhalb des geltenden Beihilfensystems nicht durch Leistungseinschränkungen und Leistungsausschlüsse zu seiner grundsätzlichen Entscheidung in Widerspruch setzen, Beihilfe zu gewähren, soweit sie dem Grunde nach notwendig und der Höhe nach angemessen sei.
Ein Ausschluss oder eine Begrenzung bedürfe in materieller Hinsicht einer inneren, den Anforderungen des Artikel 3 Absatz 1 GG standhaltenden Rechtfertigung und in formeller Hinsicht einer ausdrücklichen Rechtsgrundlage. Hieran gemessen sei etwa nicht zu beanstanden, wenn der Verordnungsgeber Medikamente ausschließe, die nicht verschreibungspflichtig seien.
Der Dienstherr weigert sich, Beihilfe für ein Nasenspray zu leisten
Das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes musste sich kürzlich mit der Beihilfeverordnung seines Bundeslandes (BhVO) beschäftigen. Ein Polizeibeamter des Saarlandes leidet unter einem chronischen Schnupfen. Grund dafür ist eine Verkrümmung der Nasenscheidewand. In § 5 der BhVO ist geregelt, dass Aufwendungen für Arzneimittel zur Anwendung von Erkältungskrankheiten und grippalen Infekten für volljährige Personen nicht beihilfefähig seien.
Der Dienstherr wollte dem Beamten keine Beihilfe für das Nasenspray „Nasivin“ leisten. Der Beamte hat eine ausgeprägte Septumdeviation, deren Folgen durch die Anwendung von „Nasivin“ zumindest gelindert, wenn nicht gebessert werden. Deshalb hat er vor dem Verwaltungsgericht geklagt. Das Gericht gab allerdings seinem Dienstherrn recht und lehnte die Beihilfefähigkeit von „Nasivin“ ab.
Das Oberverwaltungsgericht hat dem Beamten indessen Recht gegeben und das Saarland verurteilt, ihm Beihilfe zu gewähren. Der Ausschlussgrund des § 5 BhVO greife hier nämlich nicht, wenn die Nasentropfen zur Anwendung in einem anderen Krankheitsfall verordnet würden und die Aufwendungen hierfür zur Linderung der Krankheitsfolgen notwendig und angemessen seien, so das OVG.
Die subjektive Zweckbestimmung im Einzelfall ist maßgeblich
Von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossen seien danach Aufwendungen für Arzneimittel zur Anwendung bei Erkältungskrankheiten und grippalen Infekten. Die Formulierung der Vorschrift werfe die Frage auf, ob sie mit Blick auf die Rechtsfolge des Leistungsausschlusses auf die objektive, der regelmäßigen und typischen Verwendung entsprechende Zweckbestimmung des Arzneimittels abstelle. Bei dieser Sichtweise handele es sich bei der Nasenschleimhaut abschwellenden Nasentropfen sicherlich um ein Arzneimittel, das zur Anwendung bei Erkältungskrankheiten und grippalen Infekten geeignet und bestimmt sei.
Eine andere Sichtweise sei, dass die der Anwendung des Arzneimittels zugrunde liegende subjektive Zweckbestimmung im Einzelfall des Beihilfeberechtigten maßgeblich sei mit der Folge, dass ein Leistungsausschluss nur dann gegeben sei, wenn das Arzneimittel dem Beihilfeberechtigten tatsächlich zur Behandlung einer Erkältungskrankheit bzw. eines grippalen Infekts und der damit verbundenen Beschwerden verordnet werde.
Allein die letztgenannte Auslegung der Vorschrift entspricht nach Auffassung des OVG den beihilferechtlichen Grundsätzen. Wenn die Vorschrift die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für Arzneimittel „zur Anwendung“ „bei Erkältungskrankheiten und grippalen Infekten“ ausschließe, sei es im Gesamtkontext allein folgerichtig, dass auch insoweit maßgeblich sei, zu welchem Zweck das Arzneimittel im konkreten Einzelfall Anwendung finde. Ein Leistungsausschluss sei mithin nicht gegeben, wenn die Aufwendungen für ein Arzneimittel getätigt worden sind, das zwar typischerweise der Behandlung von Erkältungskrankheiten und grippalen Infekten diene, tatsächlich aber zur Behandlung einer anderen Krankheit verordnet und eingesetzt werde.
Beim Beamten geht es darum, die Folgen einer anatomischen Fehlstellung zu lindern
Zudem bedürfe der Leistungsausschluss einer am Maßstab von Art. 3 Abs. 1 GG orientierten verfassungskonformen Auslegung. Dem Leistungsausschluss liege ersichtlich die Erwägung zugrunde, dass es sich bei einer Erkältungskrankheit bzw. einem grippalen Infekt um eine vergleichsweise kurze Zeit andauernde Krankheit handele und die dabei gebräuchlichen Arzneimittel regelmäßig Aufwendungen verursachten, die aus eigenen Mitteln zu tragen dem Beihilfeberechtigten ohne Weiteres zumutbar sei.
Diese Erwägungen seien auf die Krankheit des Beamten schon deshalb nicht übertragbar, weil es bei ihm darum gehe, um die Folgen einer anatomischen Fehlstellung bzw. einer Krankheit (chronische Rhinitis) zu lindern oder zu beseitigen.
Der Beamte leide unbestritten seit seinem 15. Lebensjahr an dieser Krankheit und werde weiterhin an ihr leiden. Auch dieser Umstand streite mit Gewicht für eine Auslegung der BhVO im Sinne der vom Kläger vertretenen Auffassung.
Hier geht es zur Entscheidung des OVG des Saarlandes: