Fehlen eines Betreuungsplatzes begründet Anspruch auf Ersatz des Verdienstausfalls

23.000 Euro Schadensersatz wegen nicht rechtzeitig nachgewiesenem Betreuungsplatz

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 28.05.2021
– 13 U 436/19 

Ab Vollendung des ersten Lebensjahres haben Kinder Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder Kindertagespflege. Aus der Amtspflicht des Trägers der Jugendhilfe ergibt sich jedem anspruchs­berechtigten Kind, für das rechtzeitig Bedarf angemeldet wurde, einen angemessenen Platz nachzuweisen. Da der beklagte Landkreis einen solchen Platz verspätet zur Verfügung­ stellte, hat das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main diesen zum Ausgleich des erlittenen Verdienstausfalls der Mutter in Höhe von gut 23.000 Euro verpflichtet.

Von dem beklagten Landkreis, der Träger der öffentlichen Jugendhilfe ist, begehrte die Klägerin Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzung. Sie begründete dies damit, dass ihr von März bis November 2018 trotz Bedarfsanmeldung kein zumutbaren Betreuungsplatz für ihren einjährigen Sohn angeboten wurde.

Erstinstanzlicher Teilerfolg der Klägerin

Erstinstanzlich hat das Landgericht (LG) der Klage in Höhe von gut 18.000 Euro stattgegeben und den darüber hinaus gehenden Schadensersatz abgewiesen.

Gegen diese Entscheidung legte die Klägerin Berufung beim Frankfurter OLG ein.

OLG erhöht Schadensersatz der Vorinstanz

Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht der Klägerin weiteren Schadensersatz in Höhe von gut € 5.000,00 zugesprochen. Insgesamt 23.000,00 Euro. Der Beklagte, so das OLG, habe seine Amtspflicht zur unbedingten Gewährleistung eines Betreuungsplatzes verletzt, da er verpflichtet gewesen sei sicherzustellen, dass eine dem Bedarf entsprechende Anzahl von Betreuungsplätzen vorgehalten werde.

Betreuungsplatzbedarf wurde rechtzeitig nach der Geburt angemeldet

Obwohl die Anmeldung des Bedarfs rechtzeitig erfolgte, so das Gericht, habe der Beklagte dem Sohn der Klägerin bis zum Ablauf des ersten Lebensjahres keinen zumutbaren Betreuungsplatz zur Verfügung gestellt. Die Klägerin habe ihren Bedarf unmittelbar nach der Geburt rechtzeitig bei der Gemeinde angemeldet. Da die bloße Anmeldung bei einer Wunscheinrichtung nicht ausreichend sei, habe die Klägerin durch das Ankreuzen aller vorhandenen Kinderbetreuungseinrichtungen und Kindertagespflege deutlich gemacht, dass sie einen umfassenden Betreuungsbedarf geltend mache. Eine Bedarfsmeldung direkt beim Landkreis sei nicht notwendig gewesen, da die Gemeinde zur Weiterleitung von Bedarfsmeldungen an den Landkreis verpflichtet sei.

Angesichts der räumlichen Entfernungen sind die nachgewiesenen Plätze unzumutbar

Für den streitgegenständlichen Zeitraum habe der Beklagte der Klägerin keinen zumutbaren Platz nachgewiesen, da kein dem konkret-individuellen Bedarf des Kindes und seiner Eltern in zeitlicher und räumlicher Hinsicht entsprochen habe. Der Nachweis erfordere dabei das aktive Handeln des Beklagten im Sinne eines Vermittelns bzw. Verschaffens. Verweise der Beklagten darauf, dass freie Plätze vorhanden seien, genüge diesen Anforderungen nicht. Der von der Beklagten tatsächlich nachgewiesene Platz in Offenbach sei angesichts der räumlichen Entfernungen nicht zumutbar gewesen. Die Fahrzeit vom Wohnort zum Betreuungsplatz betrüge bereits 30 Min.; bis zum Arbeitsplatz wäre die Klägerin 56 Min. für eine Strecke unterwegs. Bei der Zumutbarkeitsprüfung sei auch neben dem individuellen Bedarf des Kindes auch auf die Bedürfnisse der Eltern einzugehen. Die Klägerin habe damit Anspruch auf Ersatz des erlittenen Verdienstausfalls, den sie infolge des Fehlens eines Betreuungsplatzes erlitten habe.

Hier geht es zur Pressemitteilung des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main:

https://ordentliche-gerichtsbarkeit.hessen.de/pressemitteilungen/%E2%82%AC-23000-schadensersatz-wegen-nicht-rechtzeitig-nachgewiesenem-betreuungsplatz

Rechtliches:

§ 24 Sozialgesetzbuch (SGB) VIII Anspruch auf Förderung in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege

(1) Ein Kind, das das erste Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist in einer Einrichtung oder in Kindertagespflege zu fördern, wenn

1.

diese Leistung für seine Entwicklung zu einer selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit geboten ist oder

2.

die Erziehungsberechtigten

a)

einer Erwerbstätigkeit nachgehen, eine Erwerbstätigkeit aufnehmen oder Arbeit suchend sind,

b)

sich in einer beruflichen Bildungsmaßnahme, in der Schulausbildung oder Hochschulausbildung befinden oder

c)

Leistungen zur Eingliederung in Arbeit im Sinne des Zweiten Buches erhalten.

Lebt das Kind nur mit einem Erziehungsberechtigten zusammen, so tritt diese Person an die Stelle der Erziehungsberechtigten. Der Umfang der täglichen Förderung richtet sich nach dem individuellen Bedarf.

(2) Ein Kind, das das erste Lebensjahr vollendet hat, hat bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege. Absatz 1 Satz 3 gilt entsprechend.

(3) Ein Kind, das das dritte Lebensjahr vollendet hat, hat bis zum Schuleintritt Anspruch auf Förderung in einer Tageseinrichtung. Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben darauf hinzuwirken, dass für diese Altersgruppe ein bedarfsgerechtes Angebot an Ganztagsplätzen zur Verfügung steht. Das Kind kann bei besonderem Bedarf oder ergänzend auch in Kindertagespflege gefördert werden.

(4) Für Kinder im schulpflichtigen Alter ist ein bedarfsgerechtes Angebot in Tageseinrichtungen vorzuhalten. Absatz 1 Satz 3 und Absatz 3 Satz 3 gelten entsprechend.

(5) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe oder die von ihnen beauftragten Stellen sind verpflichtet, Eltern oder Elternteile, die Leistungen nach den Absätzen 1 bis 4 in Anspruch nehmen wollen, über das Platzangebot im örtlichen Einzugsbereich und die pädagogische Konzeption der Einrichtungen zu informieren und sie bei der Auswahl zu beraten. Landesrecht kann bestimmen, dass die erziehungsberechtigten Personen den zuständigen Träger der öffentlichen Jugendhilfe oder die beauftragte Stelle innerhalb einer bestimmten Frist vor der beabsichtigten Inanspruchnahme der Leistung in Kenntnis setzen.

(6) Weitergehendes Landesrecht bleibt unberührt.