Wir hatten darüber berichtet, dass in der Pflege systematisch das Gesetz gebrochen wird. Pflegekräfte, insbesondere Frauen aus Osteuropa, ziehen bei Pflegebedürftigen in Deutschland ein und müssen sich 24 Stunden am Tag um sie kümmern. Das Bundesarbeitsgericht hat jetzt die Chance für solche ausbeuterischen Geschäftsmodelle eingeschränkt.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24. Juni 2021 – 5 AZR 505/20
Im August 2020 hatte das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg über den Fall einer 69-jährigen bulgarische Staatsbürgerin zu entscheiden, die ihren Wohnsitz auch in Bulgarien hatte. Dort hatte sie eine bulgarische Gesellschaft als Sozialassistentin eingestellt. Vereinbart wurde eine Arbeitszeit von sechs Stunden täglich und ein Stundenlohn von umgerechnet € 8,50.
Einsatz rund um die Uhr
Sie war in Deutschland dann jeden Tag von morgens um sechs Uhr bis um 23 Uhr im Einsatz. Zuletzt war sie bei einer Seniorin eingezogen, der sie darüber hinaus auch nachts, also in ihrer spärlichen „Freizeit“ zur Verfügung stehen musste: sie musste etwa bereit sein, gegebenenfalls das Rufen der alten Dame zu hören, um sie etwa zur Toilette zu begleiten.
Über diesen Fall hatten wir im Rahmen unseres Artikels „Systematischer Gesetzesbruch in der 24-Stunden-Pflege“ berichtet:
Das LAG hat damals entschieden, dass deutsches Arbeitsrecht anzuwenden sei. Jedenfalls fände nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz (AentG) das Mindestlohngesetz auch zwingend Anwendung auf Arbeitsverhältnisse zwischen im Ausland ansässigen Arbeitgeber*innen und ihren im Inland beschäftigten Arbeitnehmer*innen.
LAG: der bulgarische Arbeitgeber muss € 38.377,50 brutto nachzahlen
Auch die Arbeitszeitregeln seien nach Auffassung des LAG einzuhalten. Denn die Entgeltsätze liefen ins Leere, wenn sie nicht entsprechend der ihnen zugrundeliegenden gesetzlichen Regelung zur Anwendung kämen. Ergebnis war seinerzeit jedenfalls, dass der bulgarische Arbeitgeber der Klägerin € 38.377,50 brutto (4.515 Stunden x € 8,50/ Stunde) nachzahlen muss. Und das nur für das Jahr 2015.
Gegen das Urteil hatten der Arbeitgeber und auch die Beschäftigte Revision beim BAG eingelegt. Diese war für beide Seiten insoweit mit Erfolg gekrönt, als dass das BAG das Urteil insgesamt aufgehoben und zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an das LAG zurück verwiesen hat.
Das BAG hat die Sache an das LAG zurück verwiesen
Das BAG hat darüber hinaus aber unmissverständlich klargestellt, dass nach Deutschland in einen Privathaushalt entsandte ausländische Betreuungskräfte Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn für geleistete Arbeitsstunden haben. Dazu gehöre auch Bereitschaftsdienst, betonte der 5. Senat des BAG. Ein solcher könne darin bestehen, dass die Betreuungskraft im Haushalt der zu betreuenden Person wohnen müsse und grundsätzlich verpflichtet sei, zu allen Tag- und Nachtstunden bei Bedarf Arbeit zu leisten.
„Das Urteil ist ein Paukenschlag für entsandte Beschäftigte in der häuslichen Altenpflege“ erklärte dazu Anja Piel, Mitglied des Bundesvorstandes des Deutschen Gewerkschaftsbundes. „Auch wer in anderen EU – Ländern unter Vertrag steht, hat in Deutschland elementare Schutzrechte bei Lohn und Arbeitszeiten und das nicht nur auf dem Papier. Das Urteil schränkt die Chance für ausbeuterische Geschäftsmodelle ein, mit dem sich Vermittler bisher zu Lasten der Beschäftigten eine goldene Nase verdienen konnten. Für alle gilt der deutsche Mindestlohn unabhängig von ihrer Herkunft – Bereitschaftszeiten sind Arbeitszeit und damit zu vergüten.“ so Frau Piel weiter.
DGB: „Faire Mobilität“ ist eine bedeutende Anlaufstelle für Beschäftigte aus dem Ausland
Sie wies zudem daraufhin, dass dieser Erfolg mit gewerkschaftlicher Unterstützung erzielt worden sei. „Das zeigt einmal mehr die Bedeutung muttersprachlicher Beratungsstrukturen wie Faire Mobilität als Anlaufstelle für ausländische Beschäftigte“.
„Faire Mobilität“ ist ein gewerkschaftsnahes Projekt, das 2011 gestartet ist. Schrittweise wurden in den letzten Jahren Beratungsstandorte aufgebaut. Diese unterstützen mobile Beschäftigte und beraten sie in ihren Herkunftssprachen in arbeitsrechtlichen und sozialrechtlichen Angelegenheiten. Die politische Verantwortung für Faire Mobilität liegt beim DGB-Bundesvorstand.
Hier geht es zur Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts:
Hier geht es zur Homepage des Projektes „Faire Mobilität“:
https://www.faire-mobilitaet.de/ueber-uns/++co++aad7ecc8-efae-11e1-8a24-00188b4dc422