Müssen Arbeitnehmer*innen Zeiterfassung per Fingerabdruck dulden?

Über die Frage, ob ein Arbeitnehmer zu einer Zeiterfassung per Fingerabdruck-Scanner verpflichtet werden kann, hatte das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg am 4.6.2020 zu entscheiden.  

Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 4.6.2020 – 10 Sa 2130/19 –

Der Arbeitgeber des in einer radiologischen Praxis als Medizinisch-Technischer Assistent tätigen Klägers führte ein Zeiterfassungssystem ein, das mit einem Fingerabdruck-Scanner bedient wird. Das ohne Zustimmung des Klägers eingeführte System verarbeitet nicht den Fingerabdruck als Ganzes, sondern die Fingerlinienverzweigungen (Minutien). 

Nachdem der Kläger die Benutzung des Systems ablehnte, erteilte ihm der Arbeitgeber eine Abmahnung. Hieraufhin erhob der Kläger Klage beim Arbeitsgericht Berlin und beantragte, die Beklagte zu verurteilen, die am 5.10.2018 schriftlich erteilte Abmahnung, aus der Personalakte zu entfernen. Das erstinstanzliche Gericht verurteilte die Beklagte antragsgemäß. Gegen diese Entscheidung legte die Beklagte Berufung beim Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg ein.

Fingerlinienverzweigungen sind biometrische Daten

Das LAG bestätigte die Entscheidung des Arbeitsgerichts, wonach der Kläger das Zeiterfassungssystem nicht nutzen muss. Auch wenn das System nur Fingerlinienverzweigungen (Minutien) verarbeite, so die Richter*innen des Berufungsgerichts, handle es sich um biometrische Daten. Eine Verarbeitung solcher Daten sei nach Art. 9 Abs. 2 Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) aber nur ausnahmsweise möglich. 

In dem vorliegenden Fall, so das LAG, könne auch ausgehend von der Bedeutung der Arbeitszeiterfassung nicht festgestellt werden, dass eine solche Erfassung unter Einsatz biometrischer Daten im Sinne dieser Bestimmungen erforderlich sei. Hieraus ergebe sich, dass eine Erfassung solcher Daten ohne Einwilligung des Arbeitnehmers nicht zulässig sei. Da die Weigerung der Nutzung des Zeiterfassungsgeräts keine Pflichtverletzung darstelle, könne der Kläger die Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte verlangen.

LAG lässt Revision nicht zu-Beklagte legt Nichtzulassungsbeschwerde ein

Weil die Zulassung der Revision nicht in Betracht kam, da die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorgelegen haben, legte die sich offenkundig unverstanden fühlende Beklagte Nichtzulassungsbeschwerde (NZB) beim Bundesarbeitsgericht (BAG) ein, welche erfolglos blieb.  

Mit Beschluss vom 27.10.2020, Az. 10 AZN 708/20, hat das BAG die NZB der Beklagten verworfen.

Hier geht es zur Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg vom 4.6.2020

VIS Berlin – 10 Sa 2130/19 | LArbG Berlin-Brandenburg 10. Kammer | Urteil | Biometrische Zeiterfassung – Pflichtvorsorgeuntersuchung

Rechtliches:

Art. 9 Abs. 2 Datenschutzgrundverordnung (DSGVO)

Art. 9 Abs. 2 DSGVO

Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten

(1) Die Verarbeitung personenbezogener Daten, aus denen die rassische und ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen oder die Gewerkschaftszugehörigkeit hervorgehen, sowie die Verarbeitung von genetischen Daten, biometrischen Daten zur eindeutigen Identifizierung einer natürlichen Person, Gesundheitsdaten oder Daten zum Sexualleben oder der sexuellen Orientierung einer natürlichen Person ist untersagt.

(2) Absatz 1 gilt nicht in folgenden Fällen:

a)Die betroffene Person hat in die Verarbeitung der genannten personenbezogenen Daten für einen oder mehrere festgelegte Zwecke ausdrücklich eingewilligt, es sei denn, nach Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten kann das Verbot nach Absatz 1 durch die Einwilligung der betroffenen Person nicht aufgehoben werden,
b)die Verarbeitung ist erforderlich, damit der Verantwortliche oder die betroffene Person die ihm bzw. ihr aus dem Arbeitsrecht und dem Recht der sozialen Sicherheit und des Sozialschutzes erwachsenden Rechte ausüben und seinen bzw. ihren diesbezüglichen Pflichten nachkommen kann, soweit dies nach Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten oder einer Kollektivvereinbarung nach dem Recht der Mitgliedstaaten, das geeignete Garantien für die Grundrechte und die Interessen der betroffenen Person vorsieht, zulässig ist,
c)die Verarbeitung ist zum Schutz lebenswichtiger Interessen der betroffenen Person oder einer anderen natürlichen Person erforderlich und die betroffene Person ist aus körperlichen oder rechtlichen Gründen außerstande, ihre Einwilligung zu geben,
d)die Verarbeitung erfolgt auf der Grundlage geeigneter Garantien durch eine politisch, weltanschaulich, religiös oder gewerkschaftlich ausgerichtete Stiftung, Vereinigung oder sonstige Organisation ohne Gewinnerzielungsabsicht im Rahmen ihrer rechtmäßigen Tätigkeiten und unter der Voraussetzung, dass sich die Verarbeitung ausschließlich auf die Mitglieder oder ehemalige Mitglieder der Organisation oder auf Personen, die im Zusammenhang mit deren Tätigkeitszweck regelmäßige Kontakte mit ihr unterhalten, bezieht und die personenbezogenen Daten nicht ohne Einwilligung der betroffenen Personen nach außen offengelegt werden,
e)die Verarbeitung bezieht sich auf personenbezogene Daten, die die betroffene Person offensichtlich öffentlich gemacht hat,
f)die Verarbeitung ist zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen oder bei Handlungen der Gerichte im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit erforderlich,
g)die Verarbeitung ist auf der Grundlage des Unionsrechts oder des Rechts eines Mitgliedstaats, das in angemessenem Verhältnis zu dem verfolgten Ziel steht, den Wesensgehalt des Rechts auf Datenschutz wahrt und angemessene und spezifische Maßnahmen zur Wahrung der Grundrechte und Interessen der betroffenen Person vorsieht, aus Gründen eines erheblichen öffentlichen Interesses erforderlich,
h)die Verarbeitung ist für Zwecke der Gesundheitsvorsorge oder der Arbeitsmedizin, für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit des Beschäftigten, für die medizinische Diagnostik, die Versorgung oder Behandlung im Gesundheits- oder Sozialbereich oder für die Verwaltung von Systemen und Diensten im Gesundheits- oder Sozialbereich auf der Grundlage des Unionsrechts oder des Rechts eines Mitgliedstaats oder aufgrund eines Vertrags mit einem Angehörigen eines Gesundheitsberufs und vorbehaltlich der in Absatz 3 genannten Bedingungen und Garantien erforderlich,
i)die Verarbeitung ist aus Gründen des öffentlichen Interesses im Bereich der öffentlichen Gesundheit, wie dem Schutz vor schwerwiegenden grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren oder zur Gewährleistung hoher Qualitäts- und Sicherheitsstandards bei der Gesundheitsversorgung und bei Arzneimitteln und Medizinprodukten, auf der Grundlage des Unionsrechts oder des Rechts eines Mitgliedstaats, das angemessene und spezifische Maßnahmen zur Wahrung der Rechte und Freiheiten der betroffenen Person, insbesondere des Berufsgeheimnisses, vorsieht, erforderlich, oder
die Verarbeitung ist auf der Grundlage des Unionsrechts oder des Rechts eines Mitgliedstaats, das in angemessenem Verhältnis zu dem verfolgten Ziel steht, den Wesensgehalt des Rechts auf Datenschutz wahrt und angemessene und spezifische Maßnahmen zur Wahrung der Grundrechte und Interessen der betroffenen Person vorsieht, für im öffentlichen Interesse liegende Archivzwecke, für wissenschaftliche oder historische Forschungszwecke oder für statistische Zwecke gemäß Artikel 89 Absatz 1 erforderlich.                  


 
              § 72 Abs. 2 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG)
               Voraussetzung für Zulassung der Revision
 
§ 72 ArbGG
Grundsatz

(1)  1Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist. 2§ 64 Abs. 3a ist entsprechend anzuwenden.
 
 
(2)  Die Revision ist zuzulassen, wenn
 

1.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat,

2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder

3.
ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.