Desinfektionsmittel beiseitegeschafft – fristlose Kündigung

Wer während der Pandemie Desinfektionsmittel beiseiteschafft, gibt seinem Arbeitgeber einen Grund für eine fristlose Kündigung. Das gilt selbst dann, wenn er gar nicht vorhatte, das Desinfektionsmittel komplett zu behalten, meinte kürzlich das Landesarbeitsgericht Düsseldorf.

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil v. 14. Januar 2021 – 5 Sa 483/20

Wer stiehlt, begeht eine Straftat und muss damit rechnen, dass er angezeigt und verurteilt wird. Auf dem ersten Blick scheint es nicht so schwer zu sein, zu beurteilen, was ein Diebstahl überhaupt ist. Wenn mir einer etwas wegnimmt, was mir gehört, beklaut er mich doch, würde man sagen.

Juristisch ist das aber so einfach nicht. In § 242 des Strafgesetzbuches (StGB) ist der Diebstahl geregelt. Demnach habe ich gestohlen, wenn ich einem anderen „eine fremde bewegliche Sache“ weggenommen habe in der Absicht, mir diese zuzueignen. Wenn ich also einem anderen eine bewegliche Sache, die nicht mir gehört, zwar wegnehme aber ohne jegliche Absicht, sie mir zuzueignen, habe ich den anderen nicht bestohlen.

Die Absicht, sich eine Sache zuzueignen hat man bereits, wenn man sie teilweise verbrauchen will

Wobei ich mir eine Sache – für einen kurzen Moment – schon dann zugeeignet habe, wenn ich sie wegwerfe oder verschenke, denn beides darf nur der Eigentümer. Eine Zueignung liegt auch schon vor bei „Substanzentzug“. Als Beispiel hierfür wird immer gerne das Toilettenpapier genannt, das ich mir bereits nach Benutzen zugeeignet habe, auch wenn ich es nach Gebrauch zurückgeben will.

Plane ich aber im Übrigen von vorneherein, die Sache dem anderen wieder zurückzugeben, stellt das eine Gebrauchsentwendung oder Gebrauchsanmaßung dar, die grundsätzlich nicht strafbar ist. „Furtum usus“ sagen wir Jurist*innen dazu, weil wir gerne mit Fachausdrücken angeben, die lateinisch klingen.

Davon gibt es allerdings zwei wichtige Ausnahmen: die Gebrauchsanmaßung von Kraftfahrzeugen und Fahrrädern ist nach § 248b StGB strafbar. Eine Vorschrift, die im Übrigen auf eine Notverordnung aus der Spätzeit der Weimarer Republik zurückgeht. Auch der öffentliche Pfandleiher macht sich strafbar, wenn er die von ihm in Pfand genommenen Gegenstände unbefugt in Gebrauch nimmt (§ 290 StGB).

Im Arbeitsrecht kann bereits der Verdacht ausreichen, dass ein Arbeitnehmer Zueignungsabsicht gehabt hat

Im Arbeitsrecht stellt ein Diebstahl grundsätzlich einen Kündigungsgrund dar. Wie verhält es sich aber mit der Gebrauchsentwendung? Ein Unterschied zum Strafrecht besteht insoweit, als dass im Arbeitsrecht bereits der Verdacht ausreichen kann, dass ein Arbeitnehmer Zueignungsabsicht gehabt hat. Strafrechtlich verurteilt werden kann er indessen nur, wenn die Absicht im Vollbeweis bewiesen ist.

Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hatte kürzlich über einen Fall zu entscheiden, in dem ein Beschäftigter sich darauf berief, seinen Arbeitgeber nicht bestohlen, sondern eine straflose Gebrauchsanmaßung begangen zu haben.

Roman Herold (Name von der Redaktion geändert) ist bei seiner Arbeitgeberin seit 2004 im Lager beschäftigt. Mit Beginn der Corona-Pandemie stellte die Arbeitgeberin ihren Mitarbeiter*innen Desinfektionsmittel zu Verfügung. In der Folgezeit wurden in den Sanitäranlagen mehrfach Papierrollen und Desinfektionsmittel herausgerissen und gestohlen mit der Folge, dass zeitweise dort kein Desinfektionsmittel zur Verfügung stand.

Herr Herold verbrachte einen Liter Desinfektionsmittel in sein Auto

Im März 2020 hatte Roman Herold zusammen mit sieben Arbeitskolleg*innen Nachtschicht in der Fahrzeugwäscherei. Ihm stand bei der Arbeit ein Materialwagen zur Verfügung, auf dem die Waschutensilien wie Reinigungsbürsten, Eimer und Waschmittel etc. lagen.

Wie grundsätzlich an jedem Arbeitstag hatte Herr Herold sein Privatfahrzeug auf das Werksgelände gefahren und etwa 50 m entfernt von seinem Arbeitsplatz abgestellt. Während seiner Arbeitszeit entnahm Roman Herold dem für alle Mitarbeiter zugänglichen Materialkäfig eine 1 Liter Flasche Desinfektionsmittel – ausreichend für ca. 300 Handdesinfektionen – sowie eine Rolle Handtuchpapier und verbrachte diese in den Kofferraum seines Pkw.

Es kam, wie es kommen musste. An jenem Tag machte der Werkschutz eine Fahrzeugkontrolle, von der auch Herr Herold betroffen war, als er mit seinem Auto das Werkstor passieren wollte. Eine Mitarbeiterin des Werksschutzes fand im Kofferraum die nicht angebrochene Plastikflasche mit Desinfektionsmittel sowie die volle Rolle Handtuchpapier. Sie nahm die Gegenstände an sich und informierte den Vorgesetzten von Herrn Herold.

Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis fristlos

In dem daraufhin noch am gleichen Tag durchgeführten Personalgespräch teilte Roman Herold auf Nachfrage mit, er habe das Desinfektionsmittel und die Papiertücher während der Waschsortierung aus dem Materialkäfig genommen und in sein Auto verbracht, weil es auf den Toiletten kein Desinfektionsmittel mehr gegeben habe. Der Wert des Desinfektionsmittels betrug nach Angabe der Arbeitgeberin unter Beachtung der Corona-bedingten Knappheit im Frühjahr 2020 rund 40,00 €.

Die Arbeitgeberin hat daraufhin das Arbeitsverhältnis außerordentlich („fristlos“) gekündigt. Roman Herold hat Kündigungsschutzklage erhoben, die das Arbeitsgericht freilich abgewiesen hat.

Im Berufungsverfahren vor dem Landesarbeitsgericht hat Herr Herold im Wesentlichen vorgetragen, er habe mangels Zueignungsabsicht keinen Diebstahl begangen, denn er habe die Beklagte nicht dauerhaft von der Sachherrschaft ausschließen wollen. Wenn überhaupt, liege eine straflose Gebrauchsanmaßung vor. Er habe das Papier und das Desinfektionsmittel aus dem Materialkäfig genommen, um sich und seine Kollegen, die mit ihm die Kraftfahrzeuge außen und innen zu waschen hätten, zu schützen. Er habe die Gegenstände offen im Kofferraum seines Pkw deponiert, da sie am Arbeitsplatz im Wege gestanden hätten.

Roman Herold: ich wollte das Desinfektionsmittel gar nicht entwenden

Nach Arbeitsende habe er nicht mehr an die Gegenstände gedacht und sie deswegen in seinem Kofferraum belassen. Tatsächlich hätten das Desinfektionsmittel und das Papier auf dem Betriebsgelände verbleiben sollen. Er habe lediglich gedacht, es sei „praktischer“, die Gegenstände in seiner Nähe zu haben, für sich und seine Kollegen, bis wieder durchgehend in den Sanitäranlagen Desinfektionsmittel zur Verfügung stünden.

Es habe für ihn auch kein Grund bestanden, das Desinfektionsmittel zu entwenden, da seine Frau im Pflegedienst arbeite. Dort habe sie jederzeit die Möglichkeit, Desinfektionsmittel von ihrem Arbeitgeber kostenlos mit nach Hause zu nehmen und gegebenenfalls auch zu verkaufen. Zumindest aber sei die Kündigung in Ansehung seiner langen unbeanstandeten Beschäftigungszugehörigkeit und des von der Beklagten angegebenen Schadens von ca. 40,00 € unverhältnismäßig.

Das LAG musste zunächst prüfen, ob ein wichtiger Kündigungsgrund im Sinne des § 626 BGB „an sich“ vorliegt, der geeignet ist, das Vertrauensverhältnis zwischen Herrn Herold und seiner Arbeitgeberin für die Zukunft nachhaltig zu stören. Liegt ein solcher Grund vor, muss das Gericht auf einer zweiten Stufe prüfen, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung zumutbar ist. Dabei muss es in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abwägen.

LAG: der wichtige Grund liegt bereits darin, dass Herr Herold das Desinfektionsmittel sowohl dem Zugriff der Arbeitgeberin als auch dem Zugriff der anderen Arbeitnehmer der Beklagten entzogen hat

Für das LAG lag ein wichtiger Grund „an sich“ vor. Es stünde bereits nach dem unstreitigen Vorbringen fest, dass Herr Herold eine – nicht ihm allein zur Verfügung gestellte – Flasche Desinfektionsmittel sowohl dem Zugriff der Arbeitgeberin als auch dem Zugriff der anderen Arbeitnehmer der Beklagten entzogen habe, so das Gericht.  Diese schwere Pflichtverletzung sei geeignet, einen wichtigen Grund für eine Kündigung darzustellen. Auf die strafrechtliche Wertung, ob es sich bei seinem Verhalten um einen vollendeten Diebstahl gehandelt habe, käme es nicht an.

Selbst wenn es stimmen würde, dass Herr Herold das Desinfektionsmittel nicht dauerhaft dem Zugriff der Arbeitgeberin entziehen, sondern nur an sich nehmen wollte, bis in den Sanitäranlagen wieder ausreichend Desinfektionsmittel zur Verfügung stehen würde, läge ein wichtiger Grund vor. Eine straflose Gebrauchsanmaßung sei nicht geeignet, seine Pflichtverletzung zur relativieren. Selbst eine Gebrauchsanmaßung könne im Einzelfall eine kündigungsrelevante Pflichtverletzung darstellen.

Herr Herold hat das Desinfektionsmittel in einer Weise nutzen wollen, mit der er den Wert des Desinfektionsmittels durch Gebrauch zumindest teilweise mindert

Im Übrigen sei fraglich, ob selbst nach dem Vortrag von Herrn Herold eine Gebrauchsentwendung vorliege. Das hänge nämlich davon ab, ob der Täter die weggenommene Sache unter Anerkennung fortbestehenden fremden Eigentums in einer Weise nutzen wolle, die der Wahrnehmung eines unentgeltlichen Gebrauchsrechts entspräche.

Zueignung sei nicht nur eine Negation des formellen Rechts, sondern auch eine enteignende Vorenthaltung von Verfügungsmacht auf Kosten des Berechtigten. Werde diese Verfügungsmacht in einem Maße beansprucht, die für den Berechtigten jenseits des Akzeptablen liege, sei die Vorenthaltung des Besitzes als Eigentumsanmaßung anzusehen. Zudem habe Herr Herold das Desinfektionsmittel auch in einer Weise nutzen wollen, mit der er den Wert des Desinfektionsmittels durch Gebrauch zumindest teilweise mindere, der Gebrauch also zum Verbrauch werde.

Eine Abmahnung war nicht erforderlich

Das Fehlverhalten des Klägers sei derart schwerwiegend, dass es ohne Abmahnung geeignet sei, die fristlose Kündigung zu rechtfertigen, meint das Landesarbeitsgericht. Ein Arbeitnehmer, der in Zeiten einer Pandemie dringend benötigtes Desinfektionsmittel dem Zugriff seines Arbeitgebers und seiner Arbeitskollegen entziehe, obwohl er wisse, dass dieses Desinfektionsmittel schwer zu beschaffen sei, könne nicht damit rechnen, dass der Arbeitgeber ein solches Verhalten lediglich mit einer Abmahnung oder einer fristgerechten Kündigung ahnden werde.

Der Kläger habe in Kauf genommen, dass andere Mitarbeiter der Beklagten, die ebenso um ihre Gesundheit fürchteten wie er, leer ausgingen, während etwa 300 Einheiten Handdesinfektion nur für ihn zugänglich im Kofferraum seines Pkw gelegen hätten. Dieses Verhalten habe das in den Kläger und dessen Redlichkeit gesetzte Vertrauen in einer Weise zerstört, die auch durch eine Abmahnung nicht wiederhergestellt werden könne.

Auch die Interessensabwägung sprach für den Arbeitgeber

Auch die zweite Prüfungsstufe sprach nach Auffassung des Gerichts für den Arbeitgeber. Die Interessensabwägung hätte ergeben, so das LAG, dass die Interessen des Arbeitgebers überwiegen würden.

Das Gericht sei dabei zum einen davon ausgegangen, dass sich Herr Herold noch nicht in einem fortgeschrittenen Lebensalter befinde, welches ihm die Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses relevant erschweren könnte. Darüber hinaus zeige der Vorfall, dass der Kläger seine Eigeninteressen rücksichtslos über die Interessen der Beklagten und der übrigen Arbeitnehmer stelle und dabei sogar Gesundheitsgefährdungen anderer Arbeitnehmer in Kauf nehme.

Auch der Wert des Desinfektionsmittels sei nicht als geringfügig anzusehen. Dies gelte bereits, da zum damaligen Zeitpunkt der Wiederbeschaffungswert ca. 40,00 € betragen hätte. Das gelte allerdings noch mehr jedoch, da die Verfügbarkeit von Desinfektionsmitteln im Frühjahr 2020 insgesamt sehr eingeschränkt gewesen sei. Diese Argumente rechtfertige im Rahmen der Gesamtabwägung die fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Hier geht es zur Entscheidung des Landesarbeitsgerichts:

https://openjur.de/u/2340567.html