Anspruch auf Erwerbs­minderungs­rente bei Stuhl­inkontinenz?

Können von chronischen Darmer­krankungen Betroffene mit Stuhl­inkontinenz auf die Nutzung der öffentlichen Verkehrs­mittel verwiesen werden? Eine Antwort auf diese Frage gab das das Landes­sozial­gericht Baden-Württemberg mit Urteil vom 17.12.2020

Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 17.12.2020, Az. L 7 R 3817/19

Rentenversicherungsträger lehnt Erwerbsminderungsrente ab

Eine Altenpflegerin mit Morbus-Crohn-Erkrankung beantragte Erwerbs­minderungs­rente. Sie begründete den Antrag damit, dass sie häufig unter blutigen Durchfall leide und ständig auf eine Toilette in der Nähe angewiesen sei. Um ihrer Arbeit in der häuslichen Krankenpflege nachkommen zu können sei sie auf ihren berufstätigen Mann angewiesen, der sie zur Arbeit fahren müsse, da sie keinen Führerschein besitzt. Ihren Antrag auf Erwerbsminderungsrente lehnte der Rentenversicherungsträger ab. Begründet wurde dies damit, dass es der Frau zumutbar sei, kurze Fahr­strecken im Nahverkehr problemlos zu bewältigen.

Sozialgericht weist Klage ab

Gegen diese Entscheidung des Rentenversicherungsträgers klagte die Frau beim Sozialgericht (SG) Karlsruhe. Mit Gerichtsbescheid vom 1.10.2019 wurde die Klage abgewiesen.

Landessozialgericht: Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs unzumutbar

Gegen die erstinstanzliche Entscheidung legte die Klägerin Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg ein. Die Richter*innen der Stuttgarter Berufungskammer stellten fest, dass Menschen mit derartigem Leiden das Aufsuchen einer Arbeits­stätte nicht zumutbar sei. Denn wenn man wie die Klägerin ständig auf eine Toilette angewiesen sei, können diese nicht auf Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs verwiesen werden, da Toiletten entweder gar nicht oder nur in nicht ausreichender Weise vorhanden seien.

LSG ändert Entscheidung des Karlsruher SG ab

Da nicht auszuschließen sei, so das LSG, dass eine Therapie den Zustand der Klägerin verbessern könnte, wurde dieser, unter Abänderung der Entscheidung Karlsruher SG, eine vorläufig befristet Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. Juni 2017 bis zum 31. Dezember 2021 zugesprochen.

Hier geht es zur Entscheidung des LSG Baden-Württemberg vom 17.12.2020:

http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&nr=33643

Anmerkung des Autors:

Die Entscheidung des Stuttgarter LSG ist begrüßenswert. Durch diese Entscheidung werden die Rechte vergleichbarer Betroffener sicherlich gestärkt.

Im Ergebnis richtig ist auch die vorläufige Befristung der vollen Erwerbsminderungsrente, da eine Verbesserung des Zustands nicht ausgeschlossen werden kann. Sollte jedoch keine Besserung einhergehen, so wird der Klägerin auf entsprechenden Antrag hin, sicherlich weiterhin Rente zu gewähren sein.