Arbeitgeber dürfen ein Arbeitsverhältnis auch wegen einer Alkoholkrankheit des Beschäftigten kündigen. Wenn der Betreiber einer Kindertagesstätte damit rechnen muss, dass eine alkoholkranke Kinderpflegerin die Kinder nicht ordnungsgemäß beaufsichtigen und betreuen kann, kann das ein Grund „an sich“ für eine außerordentliche Kündigung sein. Ist das Kindeswohl gefährdet, überwiegt das Interesse des Arbeitgebers, das Arbeitsverhältnis zu beenden.
Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15.04.2021 – 5 Sa 331/20
Alkoholische Getränke sind für viele Menschen Genussmittel. Alkoholsucht dagegen ist eine Krankheit, eine schwere seelische Erkrankung und nicht etwa eine Charakterschwäche. Alkoholiker*innen trinken nicht zum Spaß. Sie trinken nicht zum Genießen, sondern aus einem inneren Zwang heraus. Sie sind deshalb selten dazu in der Lage, ihren Konsum selbst zu reduzieren.
Wenn ein Arbeitgeber einem Beschäftigten kündigen will, weil dieser zu tief ins Glas geschaut und deshalb arbeitsvertragliche Pflichten verletzt hat, tut er gut daran sich davon zu überzeugen, dass der Betreffende kein Alkoholiker ist. Ist er nämlich einer, wird es dem Arbeitgeber kaum gelingen, einen wirksamen Grund für eine verhaltensbedingte Kündigung darzubringen.
Alkoholismus ist eine schlimme Krankheit und keine Charakterschwäche
Sein Beschäftigter ist nämlich krank und kann für eine mit der Krankheit in Zusammenhang stehende Pflichtverletzung möglicherweise gar nicht verantwortlich gemacht werden. Bei einer Kündigung geht es dann nicht mehr um ein schuldhaftes Verhalten, sondern um Gründe, die in der Person des Arbeitnehmers liegen. Der Arbeitgeber möchte auf die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses verzichten, weil er davon ausgeht, dass der Beschäftigte seine Alkoholkrankheit nicht in den Griff bekommt und deshalb ein Problem für das Unternehmen ist.
Das Bundesarbeitsgericht sagt dazu in ständiger Rechtsprechung, dass es auf die Prognose im Zeitpunkt der Kündigung ankommt. Wenn ein Arbeitgeber, der die Angelegenheit objektiv betrachtet, zu diesem Zeitpunkt davon ausgehen kann, dass der Arbeitnehmer aufgrund einer Alkoholsucht dauerhaft nicht die Gewähr bietet, in der Lage zu sein, die vertraglich geschuldete Tätigkeit ordnungsgemäß zu erbringen, kann eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt sein.
Voraussetzung sei, so das BAG, dass daraus eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen folge, diese durch mildere Mittel – etwa eine Versetzung – nicht abgewendet werden könne und sie auch bei einer Abwägung gegen die Interessen des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden müsse.
Entscheidend ist, ob der Arbeitnehmer bereit ist, eine Therapie durchzuführen
Für die Prognose im Hinblick auf die weitere Entwicklung einer Alkoholerkrankung käme es entscheidend darauf an, ob der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Kündigung bereit sei, eine Entziehungskur bzw. Therapie durchzuführen. Lehne er das ab, könne erfahrungsgemäß davon ausgegangen werden, dass er von seiner Alkoholabhängigkeit in absehbarer Zeit nicht geheilt werde. Ebenso könne eine negative Prognose dann berechtigt sein, wenn der Arbeitnehmer nach abgeschlossener Therapie rückfällig geworden sei.
Das LAG Rheinland-Pfalz hatte sich im April 2021 mit einem Fall auseinanderzusetzen, in dem es um die Kündigung einer Kinderpflegerin ging, die seit gut 35 Jahren bei ihrer Arbeitgeberin beschäftigt und unstreitig alkoholkrank ist. Arbeitgeberin ist ein Unternehmen der katholischen Kirche, das mehrere Kindertagesstätten betreibt. Die Kinderpflegerin hatte bereits 2017 eine Entzugstherapie absolviert.
Im Jahr 2018 kam es wieder zu alkoholbedingten Auffälligkeiten am Arbeitsplatz. Die Kinderpflegerin erklärte sich auf Vorschlag der Arbeitgeberin bereit, sich zukünftig bei Dienstbeginn einem Alkoholtest zu unterziehen. Außerdem nahm sie seit Dezember 2018 Gesprächsangebote des Zentrums für ambulante Suchtkrankenhilfe des Caritasverbands wahr. Gleichwohl waren im Februar und März 2019 die Alkoholtests auffällig. Sie wurde daher wegen alkoholisiertem Erscheinen am Arbeitsplatz abgemahnt.
Die Kinderpflegerin hatte angezeigt, sich wegen ihrer Alkoholsucht unverzüglich einer stationären Therapie unterziehen zu wollen
Im Juni 2019 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31. Dezember 2019, weil die Kinderpflegerin am 23. Mai 2019 trotz der beiden Abmahnungen erneut alkoholisiert am Arbeitsplatz erschienen sei. Gegen diese Kündigung hat die Kinderpflegerin beim Arbeitsgericht Koblenz Klage erhoben. Das Verfahren wurde indessen in der Güteverhandlung ruhend gestellt, da die Kinderpflegerin angezeigt hatte, sich wegen ihrer Alkoholsucht unverzüglich einer stationären Therapie unterziehen zu wollen.
Der Prozessbevollmächtigte der Kinderpflegerin teilte mit Schreiben vom 02.09.2019 mit, dass diese zeitnah versuchen werde, eine Therapie durchzuführen. Sobald ihm eine Nachricht der Krankenkasse vorliege, werde er die Arbeitgeberin informieren. Im Oktober und November 2019 erschien die Kinderpflegerin erneut alkoholisiert am Arbeitsplatz. Daraufhin kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis außerordentlich zum 31. Dezember 2019. Gleichzeitig stellte sie die Kinderpflegerin ab sofort frei. Auch gegen diese Kündigung hat diese Klage erhoben. Das Arbeitsgericht hat beide Kündigungsschutzverfahren miteinander verbunden.
Die Arbeitgeberin kündigt ein drittes Mal
Trotz der Freistellung erschien die Kinderpflegerin im Dezember 2019 zur Weihnachtsfeier der Kindertagesstätte, bei der auch Eltern zugegen waren. Die Arbeitgeberin behauptet, sie sei dabei deutlich alkoholisiert gewesen und habe Ausfallerscheinungen gezeigt. Das hat die Kinderpflegerin allerdings bestritten. Sie habe wegen der Aufregung ein Beruhigungsmittel genommen.
Mit Schreiben vom 06.04.2020 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis außerordentlich mit Auslauffrist zum 31.10.2020 ein drittes Mal, insbesondere wegen des Vorfalls auf der Weihnachtsfeier. Zusätzlich führte sie im Kündigungsschreiben aus, dass die Kinderpflegerin die Arbeitgeberin im Rahmen der laufenden Auseinandersetzung vor dem Arbeitsgericht Koblenz vorsätzlich habe täuschen wollen, indem sie behauptet hätte, ab Januar 2020 sei ein stationärer Aufenthalt in der Rhein-Mosel-Fachklinik in Andernach vereinbart.
Dieser Täuschungsversuch habe offensichtlich allein dazu gedient, eine vorherige Rücknahme der zuvor ausgesprochenen Kündigung zu erreichen. Danach habe sie zunächst jegliche Information verweigert und habe schließlich über Ihren Bevollmächtigten behaupten lassen, der geplante stationäre Aufenthalt sei „vom Krankenhaus kurzfristig abgesagt worden“.
Schließlich hätte die Arbeitgeberin über die Arbeitsagentur erfahren, dass die Kinderpflegerin sich bis heute nicht arbeitsunfähig gemeldet und um eine Behandlung gekümmert hätte, sondern stattdessen scheinbar Arbeitslosengeld beziehe.
Gegen diese Kündigung erhob die Kinderpflegerin auch Klage beim Arbeitsgericht Koblenz.
Das Arbeitsgericht hielt die Kündigung für unwirksam
Die Parteien haben sich unterdessen darauf geeinigt, dass aus den ordentlichen Kündigungen keine Rechte mehr hergeleitet werden. Auf das Arbeitsverhältnis war nämlich die kirchliche Arbeits- und Vergütungsordnung (KAVO) anzuwenden, nach der das Arbeitsverhältnis aufgrund langer Betriebszugehörigkeit ordentlich nicht mehr gekündigt werden konnte. Das Arbeitsgericht musste also nur noch darüber entscheiden, ob die außerordentliche Kündigung wirksam ist.
Das Arbeitsgericht Koblenz hat unserer Kinderpflegerin Recht gegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, für die außerordentliche Kündigung bestehe kein wichtiger Grund. Bei krankheitsbedingter Kündigung wegen Alkoholsucht sei maßgeblich, ob und in welchem Ausmaß künftig mit suchtbedingten Störungen des Arbeitsverhältnisses zu rechnen sei. Das Bestehen einer Alkoholabhängigkeit sei für sich allein noch kein Kündigungsgrund. Betriebsablaufstörungen oder suchtbedingte Fehlzeiten habe die Arbeitgeberin der Mitarbeitervertretung im Anhörungsschreiben nicht genannt.
Gegen diese Entscheidung ist die Arbeitgeberin in Berufung gegangen. Diese hatte in der Sache überwiegend Erfolg und das LAG Rheinland-Pfalz hat das erstinstanzliche Urteil teilweise abgeändert. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist nach Auffassung des LAG durch die außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist beendet worden. Weil die Arbeitgeberin zwingend eine der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist entsprechende Auslauffrist – hier von sechs Monaten zum Schluss eines Kalendervierteljahres nach der KAVO – einzuhalten habe, sei das Arbeitsverhältnis nicht mit Ablauf des 31.10.2020, sondern des 31.12.2020 aufgelöst worden.
Das Landesarbeitsgericht war anderer Auffassung
Anders als das Arbeitsgericht war das LAG zu der Auffassung gelangt, dass die Alkoholsucht der Kinderpflegerin zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führt. Es käme nämlich nicht darauf an, ob aufgrund des Alkoholgenusses der Kinderpflegerin am Arbeitsplatz konkrete Störungen eingetreten seien. Ebenso wenig sei von Belang, ob das Erscheinen der Kinderpflegerin zur Weihnachtsfeier im (streitigen) volltrunkenem Zustand zu einem Eklat geführt habe.
Entscheidend sei, dass die Arbeitgeberin aufgrund der im Kündigungszeitpunkt fortbestehenden Alkoholerkrankung jederzeit damit rechnen müsse, dass die Kinder von der Kinderpflegerin nicht ordnungsgemäß beaufsichtigt und betreut werden könnten. Der Arbeitgeberin als Trägerin mehrerer Kindertagesstätten obliege eine Aufsichtspflicht. Sie müsse dafür Sorge tragen, dass die Mitarbeiter den ihnen übertragenen Aufgaben in fachlicher wie persönlicher Hinsicht gewachsen seien. Der weitere Einsatz der alkoholkranken Frau als Kinderpflegerin wäre ihr damit nicht zumutbar.
Es geht hier auch um das Kindeswohl
Die mit dem Alkoholkonsum einhergehende Minderung der Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit führe zu erheblichen Gefahren für die ihr anvertrauten Kinder, denen die Arbeitgeberin begegnen müsse. Es liege auf der Hand, dass eine nicht unerhebliche Gefahr für die Kinder bestünde, wenn eine Kinderpflegerin alkoholisiert zur Arbeit erscheine. Die Arbeitgeberin müsse nicht abwarten, bis etwas passiere.
Die ambulante Begleitung der Kinderpflegerin durch freiwillige Alkoholtests und therapeutische Gespräche bei der ambulanten Suchtkrankenhilfe des Caritasverbands A-Stadt hätten nicht zum gewünschten Erfolg geführt. Die Kinderpflegerin sei (ohne, dass sie ein Schuldvorwurf trifft) krankheitsbedingt nicht in der Lage, ihre Alkoholsucht zu überwinden. Die Möglichkeit einer anderweitigen Beschäftigung der Kinderpflegerin sei weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Die abschließend vorzunehmende Interessenabwägung habe ergeben, dass das Beendigungsinteresse der Arbeitgeberin das Interesse der Kinderpflegerin an der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses überwiege. Zugunsten der Kinderpflegerin spräche ihre Betriebszugehörigkeit von 35 Jahren und ihr Lebensalter. Ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt dürften aufgrund ihres Lebensalters und ihrer Alkoholerkrankung schlecht sein.
Der Arbeitgeberin ist es aber auf Dauer nicht mehr zumutbar, die mit einer möglichen Alkoholisierung der Kinderpflegerin verbundenen Gefährdungen in ihren Kindertagesstätten hinzunehmen. Die Arbeitgeberin hat der Kinderpflegerin nach Alkoholauffälligkeiten ab dem Jahr 2016 die Chance gegeben, ihre Sucht zu überwinden. Sie hat eine Suchttherapie abgewartet. Auch auf den Rückfall der Kinderpflegerin hat sie alles ihr Zumutbare für den Erhalt des Arbeitsverhältnisses getan. Das Scheitern ist ihr nicht anzulasten.
Hier geht es zur Entscheidung des Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz:
LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15.04.2021 – 5 Sa 331/20 – openJur