Wenn in einem Unternehmen eine Frau ein niedrigeres Gehalt hat als ein Mann in vergleichbarer Stellung, begründet das die Vermutung, dass die Frau „wegen des Geschlechts“ benachteiligt wird. Es ist dann Aufgabe des Arbeitgebers, diese Vermutung zu widerlegen, wie das Bundesarbeitsgericht kürzlich festgestellt hat.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21.Januar 2021 – 8 AZR 488/19
Seit Juli 2017 ist das Entgelttransparenzgesetz in Kraft. Das „Gesetz zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen“, wie es ausführlich heißt. Es soll wesentlich dazu beitragen, dass Frauen und Männer bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit auch das gleiche Entgelt bekommen.
Hat ein privater Arbeitgeber mehr als 500 Beschäftigte, soll er regelmäßig überprüfen, ob sein Unternehmen das Entgeltgleichheitsgebot im Sinne des Gesetzes einhält. Seit Januar 2018 haben Beschäftigte auch in kleineren Firmen mehr als 200 MitarbeiterInnen oder im öffentlichen Dienst in Dienststellen mit in der Regel mehr als 200 Beschäftigten einen Anspruch darauf, dass der Arbeitgeber darlegt, nach welchen Kriterien sie bezahlt werden.
Beschäftigte können beim Arbeitgeber in Textform anfragen, nach welchen Kriterien sie bezahlt werden
Dazu müssen sie eine Anfrage stellen. Bei tarifgebundenen Arbeitgebern müssen sie diese beim Betriebsrat einreichen. Gibt es keinen Betriebsrat oder ist der Arbeitgeber nicht tarifgebunden, stellt man die Anfrage beim Arbeitgeber. Das Gesetz schreibt vor, dass der Anspruch „in Textform“ gestellt wird, also schriftlich oder per E-Mail, beziehungsweise muss er „auf einem dauerhaften Datenträger abgegeben werden“, wie es in § 126b BGB geregelt ist. Grundsätzlich darf der Antrag nur alle zwei Jahre gestellt werden.
Leider enthält das Gesetz einige Schwächen, die es schwer machen, das mit ihm beabsichtigte Ziel zu erreichen. So fehlt etwa ein Verbandsklagerecht. Beschäftigte, die hinsichtlich ihres Arbeitsentgeltes benachteiligt werden, sind also im Zweifel gezwungen, als Einzelperson ihren Anspruch gerichtlich geltend zu machen. Suboptimal ist auch, dass Arbeitgeber erst ab 500 Beschäftigten regelmäßig das Entgeltgleichheitsgebot überprüfen sollen. Und vor allem: sie müssen nicht, sondern sind nur aufgefordert zu prüfen.
Die Europäische Union will die Rechte von Arbeitnehmer*Innen weiter stärken
Die Europäische Kommission hat im März 2021 einen Vorschlag zur Lohntransparenz vorgelegt, der deutlich weiter geht als das Entgelttransparentgesetz. Der Vorschlag stärkt etwa die Instrumente, mit denen Arbeitnehmer*Innen ihre Rechte geltend machen können, und erleichtert den Zugang zur Justiz. Arbeitgeber müssten, setzt sich der Vorschlag durch, in der Stellenausschreibung oder vor dem Vorstellungsgespräch Informationen über das Einstiegsentgelt oder dessen Spanne bereitstellen. Arbeitgebern wird es dann umgekehrt nicht mehr gestattet sein, künftige Arbeitnehmer nachihrer früheren Vergütung zu fragen. So weit sind wir indessen noch nicht.
Aber auch das jetzt geltende Entgelttransparentgesetz ist nicht völlig substanzlos, wenn auch kein wirklich scharfes Schwert. Das wird schon dadurch deutlich, dass selbst bei gleicher formaler Qualifikation und ansonsten gleichen Tätigkeitsmerkmalen der Entgeltunterschied bei Frauen und Männern auch 2021 immer noch sechs Prozent beträgt. Zulasten der Frauen – sie verdienen weniger. Berücksichtigt man alle Tätigkeiten, beträgt der Einkommensunterschied sogar 18 Prozent. Das Gesetz hat sich in den ersten drei Jahren, nachdem es in Kraft getreten ist, auch eher als zahnloser Tiger entpuppt.
Eine Evaluation der Wirksamkeit des Gesetzes durch Kienbaum im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) 2020 hat ergeben, dass lediglich 4 Prozent der Befragten in Unternehmen mit mehr als 200 Beschäftigten auch tatsächlich Gebrauch von der Anfragemöglichkeit auf Informationen über die Höhe der Entlohnung vergleichbarer Tätigkeiten beim Arbeitgeber oder Betriebsrat gemacht haben
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in einer Entscheidung von Januar 2021 unterdessen die Rechte von Frauen deutlich gestärkt. Dabei ging es um folgenden Fall:
Die Arbeitgeberin hat die „Median-Entgelte“ angegeben
Hannah Wehmeyer (Name von der Redaktion geändert) ist bei ihrer Arbeitgeberin, einer Versicherungsgesellschaft, als Abteilungsleiterin beschäftigt. Von dieser erhielt sie im August 2018 eine Auskunft nach §§ 10 ff. des Entgelttransparentgesetzes, aus der das Vergleichsentgelt der in der Firma beschäftigten männlichen Abteilungsleiter hervorgeht. Die Arbeitgeberin hat dabei die „Median-Entgelte“ angegeben, also den Mittelwert der entsprechenden Arbeitsentgelte.
Das Vergleichsentgelt liegt sowohl beim Grundentgelt als auch bei der Zulage über dem Entgelt, das Hannah Wehmeyer von ihrer Arbeitgeberin bekommt. Daher hat sie vor dem Arbeitsgericht gegen die Versicherungsgesellschaft die Differenz zwischen dem ihr gezahlten Grundentgelt sowie der ihr gezahlten Zulage und der ihr mitgeteilten höheren Median-Entgelte für die Monate August 2018 bis Januar 2019 eingeklagt.
Aus der vom Arbeitgeber erteilten Auskunft ergibt sich das Vergleichsentgelt der maßgeblichen männlichen Vergleichsperson
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts auf die Berufung der Versicherungsgesellschaft abgeändert und die Klage abgewiesen. Es hat angenommen, es lägen schon keine ausreichenden Indizien im Sinne von § 22 AGG vor, die die Vermutung begründeten, dass die Arbeitgeberin Frau Wehmeyer wegen des Geschlechts benachteilige.
Hannah Wehmeyer ist gegen dieses Urteil in die Revision vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) gegangen und hatte Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hätte die Klage mit der abgegebenen Begründung nicht abweisen dürfen.
Aus der vom Arbeitgeber erteilten Auskunft ergebe sich das Vergleichsentgelt der maßgeblichen männlichen Vergleichsperson, so das BAG in seiner Begründung. Nach den Vorgaben des Entgelttransparenzgesetzes liege in der Angabe des Vergleichsentgelts als Median-Entgelt durch einen Arbeitgeber zugleich die Mitteilung der maßgeblichen Vergleichsperson. Ein konkreter oder ein hypothetischer Beschäftigter des anderen Geschlechts würden nämlich das entsprechende Entgelt für eine gleiche oder gleichwertige Tätigkeit bekommen.
Die ungleiche Bezahlung begründet die Vermutung, dass Hannah Wehmeyer „wegen des Geschlechts“ benachteiligt wird
Frau Wehmeyer habe gegenüber der ihr von der Beklagten mitgeteilten männlichen Vergleichsperson eine unmittelbare Benachteiligung nach dem Entgelttransparenzgesetz erfahren, so das BAG weiter. Denn das Entgelt, das die Arbeitgeberin Frau Wehmeyer gezahlt habe, sei geringer dasjenige gewesen, was sie der Vergleichsperson gezahlt habe.
Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts begründe dieser Umstand zugleich die Vermutung, dass Hannah Wehmeyer die Entgeltbenachteiligung „wegen des Geschlechts“ erfahren habe. Es sei dann Aufgabe der Arbeitgeberin, diese Vermutung zu widerlegen.
Aufgrund der bislang vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen habe der Senat indessen nicht entscheiden können, ob die Versicherungsgesellschaft diese Vermutung den Vorgaben von § 22 AGG in unionsrechtskonformer Auslegung entsprechend widerlegt habe. Zugleich sei den Parteien Gelegenheit zu weiterem Vorbringen zu geben. S
Eine Klage auf Zahlung eines höheren monatlichen Arbeitsentgelts stellt insoweit nach Hinweis des BAG unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EuGH allerdings kein Schadensersatz im Sinn des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes dar. Vielmehr handelt es sich um einen Anspruch auf Zahlung gleichheitswidrig vorenthaltener Vergütung. Werde eine unionsrechtswidrige Diskriminierung festgestellt und seien bislang keine Maßnahmen zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung getroffen worden, könnten die Gerichte die Wahrung des Grundsatzes der Gleichbehandlung nur dadurch gewährleisten, dass den Angehörigen der benachteiligten Gruppe dieselben Vorteile gewährt würden wie die, die den Angehörigen der privilegierten Gruppe zugutekämen, wobei diese Regelung, solange das Unionsrecht nicht richtig durchgeführt sei, das einzig gültige Bezugssystem bleibe, so das BAG.
Das BAG hat das Urteil des LAG aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurückverwiesen.
Hier geht es zur Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts:
http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=en&nr=25309