Das Vorhalten einer Betriebskantine begründet keinen Versicherungsschutz wegen einer besonderen Betriebsgefahr
Landessozialgericht Darmstadt, Urteil vom 26.1.2021, Az. L 3 U 131/18 –
Versicherte erkrankt schwer infolge einer EHEC-Infektion
Im Mai 2011 erkrankte eine 1968 geborene Versicherte an einer EHEC-Infektion, woraufhin sie intensivpflichtig stationär behandelt werden musste.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit war der EHEC-Erreger über aus Ägypten bezogenen Bockshornkleesamen nach Deutschland in einen Gartenbetrieb gelangt. Die Sprossen wurden auch an die Kantine des Betriebs geliefert, in welchem die versicherte Frau aus Frankfurt am Main als Wirtschaftsprüferin beschäftigt ist. Die Versicherte beantragte die Anerkennung als Arbeitsunfall. Sie begründete dies damit, dass sie sich entweder in der Kantine oder im Rahmen einer Schmierinfektion im Betrieb infiziert habe. Überdies wies sie daraufhin, dass sich zahlreiche weitere Mitarbeiter*innen ebenfalls infiziert hätten.
Den Antrag auf Anerkennung eines Arbeitsunfalls lehnte die zuständige Berufsgenossenschaft (BG) ab, da es nicht bewiesen sei, dass sich die Versicherte am Arbeitsplatz infiziert habe. Auch höre die Nahrungsaufnahme nicht zu den unfallversicherten Tätigkeiten. Sollte sich die Versicherte durch Kontakt mit Kollegen infiziert habe, so die BG, sei die Unfallkausalität ebenfalls zu verneinen. Denn bei allgemein wirkenden Gefahren (z.B. Ansteckung mit Grippeviren, Epidemien) fehle es am rechtlich wesentlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit.
EHEC-Infektion nicht als Arbeitsunfall anzuerkennen
Die Richter*innen des LSG bestätigten die erstinstanzliche Entscheidung. Sie folgten der Rechtsauffassung der BG und verneinten einen Arbeitsunfall. Denn es sei nicht im Vollbeweis nachgewiesen, dass die Versicherte im Zeitpunkt des Unfalls – also im Moment der EHEC-Infektion – einer Verrichtung nachgegangen sei, die der versicherten Tätigkeit zuzurechnen sei. Eine (Primär-)Infektion der Versicherten in der Kantine sei zwar denkbar und ebenso ein ernsthaft möglicher Geschehensablauf. Da es sich jedoch bei der Nahrungsaufnahme in der Betriebskantine aber nicht um eine versicherte Tätigkeit handele, scheide schon aus diesem Grund die Anerkennung eines Arbeitsunfalls aus. Dies gelte auch, wenn der Arbeitgeber – wie im Falle der Versicherten – einen Kostenzuschuss gewähre. Eine (Sekundär-) Infektion im näheren Büroumfeld z.B. durch eine Schmierinfektion im Rahmen einer versicherten Tätigkeit, wie von der Klägerin vermutet, sei nicht nachgewiesen.
Darüber hinaus sei ein Arbeitsunfall auch nicht aufgrund einer besonderen, dem Arbeitgeber der Versicherten zuzurechnenden Betriebsgefahr anzuerkennen. Die Kantine wird von einem Dritten betrieben, so dass der Arbeitgeber der Versicherten insoweit keine besondere, typische Betriebsgefahr eröffnet habe.
Bei einer etwaigen Infektion in den betrieblichen Räumen, so das LSG, hätte sich im Übrigen allenfalls ein allgemeines Lebensrisiko, nicht aber ein besonderes betriebliches Risiko realisiert. Zwar sei die statistische Wahrscheinlichkeit einer Infektion in den betroffenen Betriebsräumen höher gewesen als außerhalb dieser Firma. Denn es hätten sich dort zahlreiche Mitarbeiter infiziert und es sei nicht auszuschließen, dass diese auch noch nach Ausbruch der Krankheit den Erreger im Büro verbreitet hätten. Dies ändere jedoch nichts an der Bewertung als allgemeines Lebensrisiko, da insofern nichts anderes gelte als für jeden anderen Ausbruchsort des Infektionsgeschehens.
Anmerkung des Autors
Grundsätzlich stellt eine Infektion mit einem Erreger, die zu einer behandlungsbedürftigen Erkrankung führt, einen Unfall im Sinne der Gesetzlichen Unfallversicherung dar.
Eine solche Erkrankung kann jedoch nur dann als Arbeitsunfall anerkannt werden, wenn sich die Infektion bei einer versicherten Tätigkeit ereignet hat. Bei einer Versicherten, die sich mit dem EHEC-Erreger infiziert hat, kann dies nicht mit dem erforderlichen Vollbeweis nachgewiesen werden. Denn eine Infektion bei der Nahrungsaufnahme begründet keinen Arbeitsunfall, da es sich hierbei um eine private Verrichtung handelt, für die kein Unfallversicherungsschutz besteht.
Hier geht es zur Pressemitteilung des Landessozialgericht Darmstadt:
https://sozialgerichtsbarkeit.hessen.de/pressemitteilungen/ehec-infektion-kein-arbeitsunfall
Hier geht es zur vollständigen Entscheidung des Landessozialgericht Darmstadt:
https://www.rv.hessenrecht.hessen.de/bshe/document/LARE210000673
Rechtslage
§ 7 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII)
- Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten.
§ 8 SGB VII
(1) Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen.
Für Interessierte:
Deutsche Apotheker Zeitung online zu: Was ist EHEC eigentlich?
https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2011/05/31/was-tun-gegen-ehec-ansteckung