Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer vertragsgemäß beschäftigen, wenn dieser es verlangt. Das ergibt sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben, der durch die Grundrechte der Arbeitnehmer*innen auf Menschenwürde und Entfaltung der Persönlichkeit bestimmt wird. Mehrere Landesarbeitsgerichte haben jetzt im einstweiligen Rechtsschutz Arbeitgeber zur tatsächlichen Beschäftigung von Arbeitnehmer*innen verurteilt.
Arbeitsverhältnisse haben auch immer etwas mit Vertrauen zu tun. Auf beiden Seiten. Beschäftigte, die in ihren Arbeitgebern oder Vorgesetzten kein Vertrauen haben, werden selten gern zur Arbeit gehen und Gelegenheiten suchen, den Job zu wechseln. Arbeitgeber haben es da einfacher: sie nehmen im Zweifel einfach die vom Beschäftigten angebotene Arbeitsleistung nicht an. Sie stellen ihn/sie frei.
Selbstverständlich gehört zu den vertraglichen Pflichten des Arbeitgebers auch, die Arbeitsleistung anzunehmen. Macht er es nicht, befindet er sich im Annahmeverzug und muss gleichwohl das Arbeitsentgelt zahlen.
Arbeitnehmer*innen können aber auch vor Gericht durchsetzen, dass der Arbeitgeber sie konkret gemäß dem Arbeitsvertrag beschäftigt. Der Schutzzweck des von der Rechtsprechung entwickelten Beschäftigungsanspruchs des Arbeitnehmers und somit auch Pflicht des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer auch zu beschäftigen, wird durch die Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers bestimmt, die sich aus dem Grundgesetz ergeben (Artikel 1: die Würde des Menschen; Artikel 2: freie Entfaltung der Persönlichkeit).
Problem ist, dass ordentliche Gerichtsverfahren lange dauern
Das Bundesarbeitsgericht sagt dazu in ständiger Rechtsprechung Folgendes: die Rechtspflicht zur Beschäftigung bedeutet, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer vertragsgemäß beschäftigen muss, wenn dieser es verlangt. Rechtsgrundlage hierfür sind §§ 611, 613 BGB iVm. § 242 BGB, wobei die Generalklausel des § 242 BGB dabei ausgefüllt wird durch die Wertentscheidung der Art. 1 und Art. 2 GG. Der Arbeitnehmer soll – als Ausdruck und in Achtung seiner Persönlichkeit und seines Entfaltungsrechts – tatsächlich arbeiten dürfen.
So weit, so gut. Das ist heute in der arbeitsrechtlichen Praxis auch nicht mehr umstritten. Das Problem ist aber, dass Arbeitnehmer*innen im Zweifel den Beschäftigungsanspruch gerichtlich durchsetzen müssen. Und das kann dauern, vor allem, wenn der Arbeitgeber den Rechtsweg vollkommen ausschöpft.
In der Zwischenzeit arbeitet die/der Betroffene nicht. Ihre/seine Persönlichkeitsrechte werden nachhaltig verletzt. Noch schlimmer ist allerdings, wenn Beschäftigte den Anschluss an betriebliche Belange verlieren, wenn sie freigestellt sind. Das ist dann auf jeden Fall ein Problem, wenn sie etwa in höherem Maße auf Kenntnis vom aktuellen Geschehen und dem Fortgang aktueller Projekte angewiesen sind, um ihren Aufgaben auch künftig gerecht werden zu können.
Eine einstweilige Verfügung setzt sowohl einen Verfügungsanspruch als auch einen Verfügungsgrund voraus
Es gibt die Möglichkeit, beim Gericht zu beantragen, den Arbeitgeber im Wege einer einstweiligen Verfügung zur Weiterbeschäftigung zu verpflichten. Der Antrag zielt darauf, dass das Gericht den Rechtsstreit vorläufig regelt, bis in der Hauptsache entschieden ist. Man spricht deshalb auch vom einstweiligen Rechtsschutz oder auch vom „Eilverfahren“. Letzteres ist juristisch aber nicht korrekt, weil es nicht darum geht, eilig etwas abschließend zu regeln.
Grundsätzlich hat eine einstweilige Verfügung zwei Voraussetzungen: es braucht einen Verfügungsanspruch und einen Verfügungsgrund. Der Verfügungsanspruch ist dasselbe wie der Anspruch im Hauptsacheverfahren. Im Fall der Weiterbeschäftigung ist das selten ein Problem. Insoweit der Arbeitgeber nicht glaubhaft machen kann, dass es für ihn unzumutbar ist, den Arbeitnehmer weiter zu beschäftigen, ist der Anspruch schon deshalb gegeben, weil es einen Arbeitsvertrag gibt. Den Verfügungsanspruch muss der Beschäftigte nicht einmal beweisen. Es reicht, dass er ihn glaubhaft macht.
Es geht im Wesentlichen um Eilbedürftigkeit
Schwieriger für ihn ist indessen, den Verfügungsgrund glaubhaft zu machen. Erforderlich ist die Dringlichkeit der einstweiligen Regelung. Geregelt ist das in den §§ 935 und 940 der Zivilprozessordnung (ZPO): Einstweilige Verfügungen in Bezug auf den Streitgegenstand sind zulässig, wenn zu besorgen ist, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts einer Partei vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Sie sind auch zum Zwecke der Regelung eines einstweiligen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, sofern diese Regelung, insbesondere bei dauernden Rechtsverhältnissen zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
Die vorläufige Regelung muss also eilbedürftig sein. Wenn man bis zum Urteil im Hauptsacheverfahren abwarten würde, hätte sich die Sache durch Zeitablauf bereits erledigt. Im Arbeitsrecht sind einstweilige Verfügungen etwa häufig, wenn es darum geht, ob der Arbeitgeber zu einem bestimmten Zeitpunkt Urlaub gewähren muss. Wenn das „normale“ rechtsstaatliche Verfahren abgeschlossen sein wird, ist die Zeit, in der der Beschäftigte sicherlich aus gutem Grund seinen Urlaub haben wollte, bereits verstrichen. Der Anspruch ist „untergegangen“, wie Jurist*innen sagen.
Im Fall der Freistellung müsste ein*e Arbeitnehmer*in entweder glaubhaft machen, dass sie/er sein Recht auf Beschäftigung nicht mehr verwirklichen kann oder die Verwirklichung wesentlich erschwert wird, wenn der Arbeitgeber nicht durch die einstweilige Verfügung verpflichtet wird, ihn weiter zu beschäftigen. Oder glaubhaft machen, dass sie nötig ist, wesentlicher Nachteile zu vermeiden. Oder eben zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus „anderen Gründen“. Das Gericht muss aber nicht nur prüfen, ob die Sache eilbedürftig ist. Es muss zudem die Interessen des Arbeitnehmers gegen diejenigen des Arbeitgebers abwägen.
Die Rechtsprechung zum Verfügungsgrund im Fall einer tatsächlichen Beschäftigung ist nicht einheitlich
Und insoweit haben die Gerichte in der Vergangenheit nicht einheitlich entschieden. Lange Zeit haben viele Landesarbeitsgerichte die Auffassung vertreten, dass der sukzessive Untergang des Beschäftigungsanspruchs durch schlichten Zeitablauf für den Verfügungsgrund nicht ausreiche. Hinzukommen müssten weitere Umstände, die zu der Erkenntnis führten, dass der Antragsteller auf den Erlass einer auf Beschäftigung gerichteten einstweiligen Verfügung angewiesen sei.
Es handelt sich bei einer einstweiligen Verfügung, die auf die Durchsetzung der Weiterbeschäftigung gerichtet ist, nämlich um eine nach § 940 ZPO, die der vorläufigen Sicherung zum Zwecke der Regelung eines einstweiligen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis dienen soll. Insoweit nimmt diese für die Zeit dieser einstweiligen Regelung die Hauptsache vorweg. An den Erlass einer solchen „Befriedigungsverfügung“ sollen daher strenge Anforderungen zu stellen sein.
Der Antragsteller müsse auf die Erfüllung seines Anspruchs dringend angewiesen sein, legte etwa das LAG Berlin-Brandenburg in einem Urteil von 2011 dar. Die geschuldete Handlung sei so kurzfristig zu erbringen, dass er in einem ordentlichen Verfahren keinen Titel erwirken könne. Zudem müsse der dem Antragsteller ein Schaden drohen, der außer Verhältnis zu dem Schaden stünde, der dem Antragsgegner aus der sofortigen vorläufigen Erfüllung drohe.
Einige Landesarbeitsgerichte halten es für verfassungsrechtlich geboten, dass eine einstweilige Verfügung auf tatsächliche Beschäftigung die Hauptsache vorwegnimmt
Andere Landesarbeitsgerichte haben die Trauben indessen nicht so hoch gehängt. Das LAG Hamburg hat etwa in einer Entscheidung von 2017 betont, dass der Verfügungsgrund bereits aus dem Umstand folge, dass der im Rahmen der Prüfung des Verfügungsanspruchs angenommene Beschäftigungsanspruch mit jedem Tag der Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers wegen Zeitablaufs jeweils nicht nachholbar sei und damit endgültig untergehe. Zwar gelte dies umgekehrt in gleicher Weise für den Arbeitgeber, der zur Beschäftigung des Arbeitnehmers verpflichtet werde, sodass aus seiner Sicht das Hauptsacheverfahren über das Bestehen des Beschäftigungsanspruchs bereits vorweggenommen werde. Die faktische Vorwegnahme der Hauptsache sei in dieser Situation aber unvermeidlich und sogar verfassungsrechtlich geboten.
Ganz anders das LAG Baden-Württemberg, das noch in einer Entscheidung von 2017 eine ähnliche Rechtsauffassung vertrat, wie das LAG Berlin-Brandenburg in der oben zitierten Entscheidung von 2011. Es führte insoweit aus, dass die einstweilige Verfügung, die nach § 940 ZPO lediglich der vorläufigen Sicherung zum Zwecke der Regelung eines einstweiligen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis dienen solle, die Hauptsache zumindest teilweise bereits vorwegnehme. Der drohende Schaden müsse außer Verhältnis zum Schaden stehen, der dem Verfügungsbeklagten aus der sofortigen vorläufigen Erfüllung des streitigen Rechtsverhältnisses bzw. des streitigen Anspruchs drohe.
So langsam reift in der Rechtsprechung die Einsicht, dass an den Verfügungsgrund nicht ganz so hohe Anforderungen gestellt werden können
Es zeichnet sich aber seit einiger Zeit ab, dass auch diejenigen LAG, die eine für Arbeitnehmer*innen rigoros ablehnende Rechtsauffassung vertraten, langsam umschwenken. Ende Mai dieses Jahres hatte das LAG Baden-Württemberg über einen Fall zu entscheiden, in dem es um die Freistellung eines Chefredakteurs ging.
Dieser war bereits Rentner und zuvor etwa 40 Jahre als Jurist bei einem bundesweit agierenden Dienstleister tätig. Im September 2013 rief ihn der Geschäftsführer seines ehemaligen Arbeitgebers an und bat ihn, beim Aufbau einer Homepage mitzuhelfen. Seine Aufgabe sollten darin bestehen, die HP mit Beiträgen zu arbeits- sozial- und verwaltungsrechtlichen Themen zu bestücken. Nachdem die Homepage sich schnell sehr erfolgreich entwickelte, eröffnete ihm der Geschäftsführer, dass man ihn auf Grundlage der geltenden Tarifverträge vertraglich an das Unternehmen binden und als Chefredakteur beschäftigen wolle. Er sollte für den redaktionellen Teil der Onlineredaktion zuständig sein.
Ab dem 12. Dezember 2017 wurde das Arbeitsverhältnis unbefristet mit der Hälfte der tariflichen Vollarbeitszeit fortgeführt. Der Jurist war seitdem als Chefredakteur vorwiegend im Homeoffice beschäftigt.
Der Arbeitgeber wollte sein Personal entwickeln, indem er es abwickelt
Im Februar 2021 lud der Personalleiter des Unternehmens ihn zu einem „Personalentwicklungsgespräch“ ein. In diesem Gespräch eröffnete der Personalleiter, dass die Geschäftsführung beabsichtige, die Homepage in der bisherigen Form einzustellen. Man wolle sich vom Chefredakteur trennen und biete ihm eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.04.2021 an. Und das, obwohl die tarifvertragliche Kündigungsfrist 14 Monate zum Ende eines Kalendermonats betrug.
Nachdem der Chefredakteur nicht einverstanden war, kündigte ihn das Unternehmen zum 30.06.2021 und stellte ihn unverzüglich von der Arbeit frei. Der Chefredakteur erhob daraufhin Kündigungsschutzklage und beantragte den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Freistellung.
In der ersten Instanz vor dem Arbeitsgericht Stuttgart hatte er beim einstweiligen Rechtsschutz keinen Erfolg. Das Gericht wies seinen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ab. Zwar war auch das Gericht der Überzeugung, dass der Chefredakteur einen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung hat. Hinsichtlich des Verfügungsgrundes folgte es aber der bisherigen Rechtsprechung des LAG Baden-Württemberg.
Der bundesweit agierende Dienstleister muss seinen Chefredakteur tatsächlich beschäftigen
Der Arbeitnehmer müsse in jedem Fall ein besonderes Beschäftigungsinteresse darlegen, weil eine Verurteilung für den Arbeitgeber und die damit verbundene Beschäftigung zu einer endgültigen und nicht mehr zur beseitigenden Befriedigung des Anspruchs führe.
Mit seiner Berufung beim LAG Baden-Württemberg hatte der Chefredakteur jetzt Erfolg. Das LAG hielt nicht mehr an seiner bisherigen Rechtsprechung fest, sondern verurteilte den Dienstleister, den Chefredakteur tatsächlich zu beschäftigen. Und das nicht nur bis Ende Juni 2021. Der Chefredakteur konnte vielmehr auch glaubhaft machen, dass der Arbeitgeber eine Kündigungsfrist von 14 Monaten zum Monatsende hätte einhalten müssen. Das Gericht verurteilte den Arbeitgeber, den Chefredakteur einstweilen – bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung im Kündigungsschutzverfahren – längstens aber bis zum Ablauf der Kündigungsfrist am 31. Mai 2022 als Chefredakteur der Onlineredaktion im Homeoffice zu unveränderten Arbeitsbedingungen zu beschäftigen.
Das Kündigungsschutzverfahren dauert noch an. Es ist auf jeden Fall spannend, ob dem Arbeitgeber ein Kündigungsgrund einfällt.