Achillessehnenriss beim Völkerball kein Arbeitsunfall

Die Achillessehne ist die stärkste Sehne des Körpers und für Ausweichbewegungen funktionell vorgesehen. Ist sie gesund, kann sie nicht reißen, wenn ein Sporttreibender bei einem Ballspiel eine seitliche Ausweichbewegung macht. Das LSG Darmstadt wies jetzt die Berufung eines Betroffenen zurück.

Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 5. Februar 2021 – L 3 U 205/17

Die Berufsgenossenschaften sind Trägerinnen der gesetzlichen Unfallversicherung. Versichert sind Arbeitnehmer*innen vor Berufskrankheiten und Arbeitsunfällen. § 2 des siebten Sozialgesetzbuches (SGB VII) bestimmt aber auch, dass versichert ist, wer auf Kosten eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung stationäre Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erhält. Um einen solchen Fall geht es hier.

Hanno Münzmann (Name von der Redaktion geändert) nahm von April bis Juni 2013 an einer Entwöhnungskur auf Kosten der Deutschen Rentenversicherung in der Reha-Klinik Pichelsdorf teil. Während einer Bewegungstherapiestunde spielten mehrere Patienten*innen Völkerball, so auch Herr Münzmann.  

Herr Münzmann wollte verhindern, dass er „abgeworfen“ wird

Als er vor einem Ball auswich, spürte er einen Schmerz im rechten Bein. Nach seiner Erinnerung ist er schnell seitlich abgesprungen, um dem Ball auszuweichen und ein „Abwerfen seiner Person“ zu verhindern. Dabei sei plötzlich ein stechendheißer Schmerz an der Stelle an seinem rechten Bein aufgetreten, an der die Achillessehne in den Wadenmuskel reiche.

Der Durchgangsarzt stellte am Unfalltag eine deutliche druckschmerzhafte Schwellung an der Verbindungsstelle zwischen Muskelfaser und Achillessehne rechts fest. Sensomotorik und Durchblutung seien ohne Befund, eine Wunde habe nicht vorgelegen. Nach dem sonographischen Ergebnis bestand keine Kontinuitätsdurchtrennung der Achillessehne.

Bei einer Operation stellte sich heraus, dass die rechte Achillessehne gerissen war

Der Arzt beurteilte Herrn Münzmann als arbeitsfähig. In einem späteren Durchgangsarztbericht vom 9. Juli 2013 diagnostizierte ein anderer Arzt einen Muskelfaserriss im Bereich der rechten Wade. Für die Zeit vom 26. Juni 2013 bis zum 6. August 2013 stellte er Arbeitsunfähigkeit fest. Ein am 17. Juli 2013 durchgeführtes MRT des rechten Unterschenkels ergab eine „wahrscheinlich“ komplette Ruptur der Achillessehne im „muskulotendinösen Übergang“, also am Übergang zwischen Muskel und Sehne.

Im September 2013 wurde Hanno Münzmann operiert (Sehnennaht der Achillessehne rechts). In einem histo-pathologischen Bericht wird ein Sehnengewebe mit „mukoiden“, also „schleimbildenden“ Veränderungen und teils ausgedehnten reparativen Arealen geschildert, was zu einer zeitlich zurückliegenden Ruptur der Achillessehne rechts passt.

Die Achillessehne ist die stärkste Sehne des Körpers

Mit Bescheid vom 5. November 2013 lehnte die Berufsgenossenschaft Entschädigungsleistungen ab. Ein Arbeitsunfall liege nicht vor, da hier die Ausweichbewegung beim Völkerball den Gesundheitsschaden nicht rechtlich wesentlich verursacht habe. Die Achillessehne sei die stärkste Sehne des Körpers. Sei sie gesund, würde sie nur bei einem direkten Trauma auf die gespannte Sehne reißen. Ein solcher Mechanismus habe hier nicht stattgefunden.

Gegen diesen Bescheid war Hanno Münzmann vorgegangen. Seinen Widerspruch hatte die Berufsgenossenschaft zurückgewiesen. Das Sozialgericht hatte die hiergegen eingelegte Klage abgewiesen. Gegen das Urteil des SG hatte er Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Darmstadt eingelegt.

Das LSG konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden

Der dritte Senat des LSG ist einstimmig zu der Auffassung gelangt, dass die Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Das Gericht konnte deshalb nach Anhörung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheiden (§ 153 Absatz 4 Sozialgerichtsgesetz).

Während der Entwöhnungskur sei Herr Münzmann zwar in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert gewesen, so das LSG in seiner Begründung.  Die Achillessehnenruptur sei jedoch nicht auf das Ausweichmanöver beim Völkerballspiel zurückzuführen. Nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand sei die bewusste seitliche Ausweichbewegung vor einem Ball generell nicht geeignet, die traumatische Ruptur einer (gesunden) Achillessehne zu bewirken.

Die Achillessehne ist für Ausweichbewegungen „gebaut“

Die Achillessehne als stärkste Sehne des menschlichen Körpers sei vielmehr nur bei einer Belastung gefährdet, die nicht ihrer anatomisch-biomechanischen Bestimmung entspreche. Dies sei beispielsweise der Fall, wenn der Vorfuß beim Hochgehen einer Treppe die Stufe verfehle und deshalb das gesamte Körpergewicht auf dem Vorfuß und damit auf der angespannten Sehne laste.

Die Achillessehne sei gleichsam für Ausweichbewegungen gebaut und funktionell vorgesehen. Deshalb könne sie bei einem Unfall nur reißen, wenn zum Zeitpunkt des Unfalls bereits degenerativen Veränderungen an der Sehne bestanden hätten.

Bei Hanno Münzmann habe eine sehr ausgeprägte Schadensanlage bestanden. Diese habe insoweit „eine überragende Bedeutung“ gehabt, während das Ausweichmanöver lediglich Auslöser und daher nicht wesentlich für die Ruptur gewesen sei. Ein Arbeitsunfall sei daher nicht anzuerkennen.

Hier geht es zum Beschluss des LSG Darmstadt:

https://openjur.de/u/2321622.html