Kündigung einer Küsterin wegen Datenschutzverstoß unwirksam

Rechtswidrige Handlungen gegenüber Arbeitskollegen mit Betriebsbezug können einen wichtigen Grund zum Ausspruch einer Kündigung bedingen. Das gilt auch für den rechtswidrigen Umgang mit personenbezogenen Daten und die gleichzeitige Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eines Kollegen. Eine fristlose Kündigung kann aber gleichwohl unwirksam sein, wenn das Ziel der an sich gerechtfertigten Handlung gebilligt werden kann und keine Absicht bestand, die Arbeitgeberin zu schädigen.

Arbeitsgericht Aachen Urteil vom 22. April 2021 – 8 Ca 3432/20

Claudia Salomon (Name von der Redaktion geändert) ist Küsterin in einer Kirchengemeinde. Dort ist sie auch zuständig für diverse Verwaltungsaufgaben. Daher durfte sie auch auf den Dienstcomputer des Pastors zugreifen, soweit dies zur Erfüllung ihrer arbeitsvertraglichen Aufgaben etwa im Bereich der Buchhaltung notwendig war.

Als sie auf dem Dienstcomputer nach einer Rechnung suchte, stieß sie zufällig auf eine E-Mail des Superintendenten, einem Dienstvorgesetzten des Pastors. In dieser Mail teilte der Superintendent dem Pastor mit, dass die Staatsanwaltschaft gegen ihn, dem Pastor, strafrechtlich ermitteln würde. Er soll eine Frau, die sich im Kirchenasyl befand, unter Missbrauch seiner einflussreichen Position in der Gemeinde mit dem Ziel der Aufnahme einer Liebesbeziehung bedrängt und mit sexueller Motivation in übergriffiger Weise berührt haben.

Frau Salomon kopierte Daten von der Festplatte und übergab sie der Staatsanwaltschaft

Das machte Frau Salomon neugierig und sie durchsuchte den Dienstcomputer nach Korrespondenz zwischen dem Pastor und der Frau, die unter dem Schutz des Kirchenasyls stand. Unter anderem öffnete sie einen Ordner, der nicht schreibgeschützt war und fand dort einen rund 500 Seiten umfassenden privaten Chatverlauf zwischen dem Pastor und der schutzbedürftigen Frau.

Frau Salomon speicherte den Chatverlauf auf einen USB-Stick und behielt diesen zunächst rund eine Woche. Anschließend warf sie den USB-Stick in den Briefkasten einer ehrenamtlichen Mitarbeiterin der Kirchengemeinde, Frau Behrens (Name von der Redaktion geändert). Außerdem übergab sie den USB-Stick der Staatsanwaltschaft, damit diese den Inhalt in dem Ermittlungsverfahren gegen den Pastor verwerten kann.

Frau Salomon kannte die schutzbedürftige Frau gut. Diese litt an erheblichen psychischen Problemen und unternahm bereits Anfang Oktober 2019 einen Suizidversuch. In zeitlicher Nähe zu diesem Suizidversuch führte der Ehemann der Frau Salomon mehrere Gespräche mit der Frau. Sie bedeutete ihm unter anderem, dass sie unter Umständen einen zweiten Suizidversuch unternehmen würde, da sie aus ihrer schwierigen Situation als Flüchtling keinen Ausweg sähe.

Frau Behrens hatte den Eindruck, dass die schutzbedürftige Frau sehr verzweifelt war

An den Gesprächen nahm auch Frau Behrens als Dolmetscherin für Französisch teil. Im Rahmen der Gespräche berichtete die Frau von mehreren Situationen, in denen der Pastor sie bedrängt hätte. Unter anderem habe er sie bei einem Kinobesuch mehrfach an den Innenschenkel gegriffen, obgleich sie ihm bedeutet habe, dass sie das nicht wollte.

Sie übergab Frau Behrens zwei Liebesbriefe, in welchen der Pastor ihr seine Zuneigung offenbarte. Frau Behrens hatte in den Gesprächen den Eindruck, dass die schutzbedürftige Frau sehr verzweifelt war, weil sie einerseits die Avancen des Pastors abwehren, andererseits ihren Status als Flüchtling im Kirchenasyl nicht gefährden wollte. Sie berichtete Frau Behrens auch davon, dass der Pastor Schreiben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zurückgehalten hätte und diese nur als Gegenleistung für ihre Einwilligung in sexuelle Handlungen herausgeben wollte.

Frau Behrens wandte sich an zwei andere Kirchengemeinden und bat dort erfolglos um Unterstützung. Sodann wandte sie sich anonym an die Landeskirche und tauschte sich zudem mit Frau Salomon und deren Ehemann regelmäßig über die Gespräche mit der schutzbedürftigen Frau aus und diskutierte mit beiden, wie man mit dem Sachverhalt am besten weiter umgehen solle.

Im September 2020 erfuhr die Leitung der Kirchengemeinde von der Übergabe de USB-Sticks an die Staatsanwaltschaft

Der Superintendent hatte den Pastor zwischenzeitig beurlaubt, die Beurlaubung jedoch im September 2020 wieder aufgehoben. Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen den Pastor wurde ebenfalls im September 2020 eingestellt, weil nicht genügenden Anlass bestand, eine öffentliche Klage zu erheben (§ 170 Abs. 2 Strafprozessordnung). Ein kirchliches Disziplinarverfahren ist aber noch anhängig.

Ebenfalls im September 2020 erfuhr die Leitung der Kirchengemeinde davon, dass Frau Salomon den USB-Stick an die Staatsanwaltschaft übergeben hatte. Mit Schreiben vom 24.09.2020 kündigte sie das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund fristlos.

Hiergegen hatte sich Frau Salomon mit einer Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht Aachen gewehrt und hatte Erfolg.

Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

Das Gericht ist zu der Auffassung gelangt, dass die Kündigung nicht gerechtfertigt ist

Dafür ist nach ständiger Rechtsprechung des BAG zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne besondere Umstände „an sich“, das heißt also typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht.

Das Gericht hat diese Grundsätze bei seiner Prüfung zugrunde gelegt und ist zu der Überzeugung gelangt, dass die Kündigung nicht gerechtfertigt ist.

Ein wichtiger Grund „an sich“ war für den Ausspruch der außerordentlichen Kündigung nach Auffassung des Gerichtes gegeben. Als wichtige Gründe für den Ausspruch der Kündigung der Beklagten käme hier ein rechtswidriges Durchsuchen des Dienstcomputers des Pastors nach privater Korrespondenz und deren Sicherung, die Weitergabe des USB-Sticks an Behrens, die Weitergabe des USB-Sticks und der E-Mail vom Superintendenten an die Staatsanwaltschaft sowie das diesbezügliche Verhalten der Klägerin in einer Gesamtschau in Betracht. Jedenfalls diese Gesamtschau rechtfertige die Annahme, dass ein Grund „an sich“ für eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses bestehe.

Wer den Dienstcomputer eines Kollegen nach privater Korrespondenz durchsucht, handelt rechtswidrig

Rechtswidrige Datenverarbeitungen des Arbeitnehmers im Arbeitsverhältnis, die mit Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts etwa von Arbeitskollegen einhergingen, könnten dazu geeignet sein, bei entsprechender Schwere des Verstoßes „an sich“ einen wichtigen Grund für den Ausspruch einer Kündigung auszumachen, auch wenn die in Rede stehenden Daten nicht dem Schutzbereich des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen unterlägen, so das Arbeitsgericht Aachen.

Es sei allgemein anerkannt, dass auch rechtswidrige Handlungen gegenüber Arbeitskollegen (z. B. Beleidigungen, Tätlichkeiten, Mobbing) mit Betriebsbezug einen wichtigen Grund zum Ausspruch einer Kündigung bedingen könnten und der Arbeitgeber insoweit nicht unmittelbar geschädigt werden müsse. Dies gelte ebenso, wenn ungerechtfertigte Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht und rechtswidrige Verarbeitungen personenbezogener Daten von Arbeitskollegen erfolgten und die Handlung schwerwiegend sei. Denn damit würden zugleich das Betriebsklima und ggf. auch das Vertrauensverhältnis belastet. Überdies würde der Arbeitgeber genötigt, sich mittels arbeitsrechtlicher Maßnahmen schützend vor die betroffenen Kollegen zu stellen.

Frau Salomon hat ihre arbeitsvertraglichen Kompetenzen überschritten

Das Gericht betonte, dass Frau Salomon ihre arbeitsvertraglichen Kompetenzen überschritten habe. Sie habe die Schutz- und Rücksichtnahmepflichten bei der ihr anvertrauten Nutzung des Dienstcomputers verletzt, als sie einen erkennbar privaten Ordner des Pastors geöffnet und die umfangreichen privaten Chatverläufe zur Kenntnis genommen und kopiert habe. Dies gelte, obgleich der Ordner nicht besonders zugriffsgeschützt gewesen sei, da Frau Salomon den grundsätzlich dem Pastor zugeordneten Dienstcomputer nur insoweit habe nutzen dürfen, als dies zur Erfüllung ihrer arbeitsvertraglichen Aufgaben notwendig gewesen sei.

Selbst wenn man berücksichtige, dass Frau Salomon damals von der schwierigen Situation der schutzbedürftigen Frau wusste, habe sie im Ergebnis nicht den rechtlich richtigen Weg gewählt, um die Frau zu unterstützen. Das hätte sie seinerzeit auch erkennen können, meint das Arbeitsgericht Aachen.

Die Verstöße gegen Schutz- und Rücksichtnahmepflichten im Umgang mit personenbezogenen Daten und die gleichzeitige Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Pastors durch eine Handlung anlässlich der Dienstausübung genügten insofern zumindest in einer Gesamtschau, um einen wichtigen Grund für den Ausspruch einer Kündigung anzunehmen.

Das Gericht ist zu der Auffassung gelangt, dass eine Abmahnung ausgereicht hätte

Auf der zweiten Stufe der Prüfung, der Interessenabwägung, ist das Gericht dann zu der Auffassung gelangt, dass eine Abmahnung eine angemessene Reaktion auf das Fehlverhalten der Klägerin gewesen wäre. Die außerordentliche fristlose Kündigung stelle eine unverhältnismäßige Reaktion auf das Verhalten der Klägerin dar.

Es dürfe nämlich nicht außer Acht gelassen werden, so das Gericht, wie sich der Sachverhalt aus der damaligen Sicht der Klägerin dargestellt habe. Die Klägerin sei davon überzeugt gewesen, dass der Pastor die Frau in einer ohnehin verzweifelten Situation massiv bedrängt und sich strafbar gemacht habe. Frau Salomon habe eine starke moralische Verpflichtung gespürt, eine Frau zu unterstützen, die sich in einer sehr ernsten Notsituation befunden habe.

Sie sei in Sorge gewesen, dass die schutzbedürftige Frau einen weiteren Suizidversuch unternehmen könnte. Nicht zuletzt sei sie davon ausgegangen, dass der Pastor durch das Zurückhalten von Korrespondenz mit dem BAMF die Frau zu sexuellen Handlungen nötigen wollte und deshalb mittelbar die Gefahr eines weiteren Suizidversuchs erhöhte.

Es käme nicht entscheidend darauf an, ob die Situation der schutzbedürftigen Frau tatsächlich so verzweifelt gewesen sei, wie sich dies für die Klägerin dargestellt habe. Wenn man die damalige Sicht der Frau Salomon berücksichtigen würde, relativiere das sowohl die Schwere ihres Verstoßes gegen Schutz- und Rücksichtnahmepflichten im Umgang mit personenbezogenen Daten als auch den Grad ihres Verschuldens in einer rechtlich komplexen Situation.

Die Absichten der Frau Salomon waren grundsätzlich zu billigen, sie hat nur den falschen Weg gewählt

Es käme im Wesentlichen auch nicht darauf an, ob Frau Salomon fahrlässig oder (bedingt) vorsätzlich gegen Schutz- und Rücksichtnahmepflichten verstoßen habe, als sie den Chatverlauf sicherte und weitergab. Relevant sei vielmehr, dass Anhaltspunkte dafür bestünden, dass sie den Pastor oder die Kirchengemeinde bewusst schädigen und nicht nur der Frau habe helfen wollen.

Die Schwere des Verstoßes würde auch dadurch relativiert, dass Frau Salomon mit ihren Handlungen grundsätzlich zu billigendem Ziel – nämlich die Unterstützung bei der Aufklärung einer angenommenen Straftat und den Schutz der betroffenen Frau vor weiteren Übergriffen – verfolgt und lediglich den rechtlich falschen Weg gewählt habe.

Hier geht es zum Urteil des Arbeitsgerichts Aachen:

http://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/koeln/arbg_aachen/j2021/8_Ca_3432_20_Urteil_20210422.html