Sport ist gesund, in Maßen jedenfalls. Hochleistungssportler sind aber nicht selten nach ihrer Karriere krank. Ein Profihandballer hatte erfolglos bei der Berufsgenossenschaft (BG) einen Meniskusschaden als Berufskrankheit geltend gemacht. Das Landessozialgericht Baden-Württemberg gab ihm jetzt allerdings Recht und verurteilte die BG, den Schaden als Berufskrankheit anzuerkennen.
Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 19. März 2021 – L 8 U 1828/19
Viele Arbeitnehmer*innen kennen das: viele Jahre haben sie ihre Knochen hingehalten für das Unternehmen. Irgendwann treten Krankheiten auf, die sich die/der Arbeitnehmer*in nur mit Belastungen im Job erklären kann. Dafür gibt es doch eine gesetzliche Unfallversicherung, die für gesundheitliche Schäden aufkommt, die man sich durch den Beruf zugezogen hat.
Davon gehen viele Beschäftigte jedenfalls aus. Die Wirklichkeit ist indessen ein klein wenig, aber sehr entscheidend anders. Keineswegs tritt die Berufsgenossenschaft bereits mit Verletztengeld, Heil- und Hilfsmittel oder Rente ein, wenn ein/e Arbeitnehmer*in durch die Arbeit krank wird. Das gehört für gewöhnlich zum Lebensrisiko, das jeder für sich selbst trägt. Das Leben an sich ist eben lebensgefährlich.
Berufskrankheit ist, was in Anhang 1 der Berufskrankheitenverordnung aufgeführt ist
Was eine Berufskrankheit ist, ergibt sich vielmehr aus einer Liste, die als Anlage 1 der Berufskrankheitenverordnung (BKVO) angehängt ist. In dieser Liste sind derzeit etwa 80 Berufskrankheiten aufgeführt. Rechtsgrundlage ist § 9 des 7. Sozialgesetzbuches (SGB VII).
Danach wird die Bundesregierung ermächtigt, eine Rechtsverordnung zu erlassen und darin solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherer Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Die Bundesregierung kann dabei bestimmen, dass die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind.
Darüber hinaus gibt es noch die sogenannten „Wie-Berufskrankheiten“. Das sind Krankheiten, die wie eine Berufskrankheit entschädigt werden und nur deshalb nicht in die Berufskrankheitenliste aufgenommen worden sind, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft bei der letzten Fassung der Liste noch nicht ausreichten.
Bei Roland Kowalski traten bereits nach drei Jahren als Profisportler Schäden am Meniskus auf
Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hatte jetzt einen Fall zu entscheiden, in dem es um eine Listenerkrankung ging, und zwar um die Berufskrankheit (BK) 2102 (Meniskusschäden nach mehrjährigen andauernden oder häufig wiederkehrenden, die Kniegelenke überdurchschnittlich belastenden Tätigkeiten).
Unser Profihandballer, nennen wir ihn Roland Kowalski, übte diesen Sport seit 1991 aus, zunächst als Jugendspieler und von Juni 2001 an als Bundesliga-Profispieler wöchentlich rund 20 Stunden bis zum Karriereende Mitte 2015. Im Juli 2004 stellten Ärzte bei einer Kernspintomographie erstmals eine Innenmeniskusschädigung an seinem rechten Knie fest.
Die zuständige Berufsgenossenschaft räumte zwar ein, dass Herr Kowalski als Profihandballer in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert ist. Anerkennen wollte sie die BK 2102 bei ihm allerdings nicht. Eine mehrjährige, zumindest 2-jährige Ausübung der belastenden Tätigkeit liege aber nicht vor. Denn die Bundesregierung habe bestimmt, dass man insoweit eine vollschichtige Tätigkeit von 1.600 Stunden pro Jahr zugrunde legen müsse.
Wer spielt schon 1.600 Stunden im Jahr Handball?
Herr Kowalski habe aber im Jahr nicht 1.600 Stunden Handball gespielt. Daher müsse er eine Einwirkung von mindestens 3.200 Stunden (zwei Jahre mal 1.600 Stunden) nachweisen. Berücksichtigen könne man insoweit aber nur Zeiten bis zur ersten gesicherten Diagnose eines Meniskusschadens. Es ginge hier also um die Zeit von Juni 2001 bis zum Auftreten der ersten degenerativen Veränderungen im Bereich des rechten Kniegelenks im Juli 2004. In diesem Zeitraum habe Herr Kowalski aber lediglich versicherte Trainings- und Wettkampfzeiten im Umfang von 1.776 Stunden absolviert.
Roland Kowalski überzeugte die Argumentation der BG nicht und klagte vor dem Sozialgericht, dass seine Klage jedoch abschmetterte. Mit seiner Berufung vor dem LSG hatte Herr Kowalski jedoch Erfolg.
Der Spiel- und Trainingsbetrieb eines Profisportlers ist nicht vergleichbar mit einer „normalen“ Arbeitsschicht
Beim Handballsport, so urteilte das LSG, würden die Kniegelenke durch schnelle Richtungsänderungen bei hohem Tempo, häufig auch mit unkontrolliertem Aufkommen auf dem Hallenboden bei Sprungwürfen, überdurchschnittlich belastet. Herr Kowalski sei im Zeitpunkt im Juli 2004 auch bereits drei Jahre und somit mehrjährig überdurchschnittlich meniskusbelastend als versicherter Profihandballer tätig gewesen.
Die Forderung der BG, dass eine Mindestbelastungsdauer von 3.200 Stunden Voraussetzung für die Anerkennung des Meniskusschadens als Berufskrankheit sei, wies das LSG zurück. Das entbehre nämlich sowohl einer gesetzlichen als einer wissenschaftlichen Grundlage. Insoweit sei auch zu berücksichtigen, dass professionell betriebener Handballsport durch die Intensität der Trainings- und Spielbelastung auf Profiniveau zu deutlich höheren Belastungsspitzen führe.
Man könne den Spiel- und Trainingsbetriebs eines Profisportlers nicht ohne Weiteres mit der achtstündigen Arbeitsschicht sonstiger Arbeitnehmer in Relation setzen. Zudem liege bei Roland Kowalski auch keine relevante belastungsunabhängige Vorschädigung vor. Insoweit stehe es dem Anspruch des Herrn Kowalski grundsätzlich nicht entgegen, dass dieser bei einer Aufnahme des Handballsports im Kindesalter und nach Durchlaufen aller Jugendmannschaften bis zum Übergang in den Lizenzspielerkader bereits einer erheblichen Meniskusbelastung mit möglicherweise vorauseilenden Veränderungen unterlag.
Hier geht es zur Entscheidung des LSG Baden-Württemberg: