Kollegen auf der Toilette eingeschlossen – fristlose Kündigung

Einer Arbeitgeberin fiel auf, dass in ihrem Betrieb eine Toilettentür stark beschädigt war. Sie prüfte nach und stellte fest, dass ein Lagerist einen Kollegen zeitweise auf der Toilette eingesperrt hatte. Der hatte die Tür beschädigt, als er sich befreite. Das Arbeitsgericht hat es für gerechtfertigt gehalten, dass die Arbeitgeberin den Lageristen deshalb fristlos gekündigt hat.

ArbG Siegburg, Urteil vom 11. Februar 2021 – 5 Ca 1397/20

Simon Lehmann (Name von der Redaktion geändert) war seit 2019 bei seiner Arbeitgeberin als Lagerist beschäftigt. Mit seinem Kollegen im Lager geriet er öfters in Streit. Dieser befand sich im Januar 2020 auf der Toilette im Lager. Während er dort seinem Geschäft nachging, schob Herr Lehmann unter der Toilettentür ein Blatt hindurch und stieß mit einem Gegenstand den Toilettenschlüssel aus dem Schloss. Der Schlüssel fiel auf das Blatt, welches durch Simon Lehmann weggezogen wurde. Er ließ seinen Kollegen so lange auf der Toilette eingeschlossen, bis dieser sich veranlasst sah, die Toilettentür aufzutreten.

Im Juni 2020 fiel der Arbeitgeberin auf, dass die Toilettentür im Lager beschädigt war. Hieraufhin nahm sie Einzelgespräche mit Herrn Lehmann und seinem Kollegen vor. Letzterer ließ sich dahingehend ein, dass er von Simon Lehmann auf der Toilette eingeschlossen wurde und sich nur durch das Eintreten der Tür befreien konnte.

Das Verhalten ging auch dem Arbeitsgericht zu weit

Mit Schreiben vom 18.06.2020 sprach die Arbeitgeberin gegenüber Herrn Lehmann eine außerordentliche fristlose Kündigung aus. Hiergegen erhob dieser Kündigungsschutzklage.

Mit Urteil vom 11.02.2021 wies das Arbeitsgericht Siegburg die Klage ab. Die fristlose Kündigung hielt es für gerechtfertigt. Der wichtige Kündigungsgrund lag nach Auffassung des Gerichts darin, dass der Herr Lehmann seinen Kollegen auf der Toilette einschloss, indem er ihm durch einen alten Trick den Schlüssel zum Öffnen der Toilettentür wegnahm. Hierdurch habe er seinen Kollegen zumindest zeitweise seiner Freiheit und der ungehinderten Möglichkeit des Verlassens der Toilette beraubt.

Dadurch habe Herr Lehmann seine arbeitsvertraglichen Pflichten erheblich verletzt. Zudem sei durch das Verhalten des Klägers die Toilettentür, also das Eigentum der Arbeitgeberin beschädigt worden. Eine vorherige Abmahnung sei in diesem Fall entbehrlich gewesen. Eine Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist sei der Arbeitgeberin ebenfalls nicht zuzumuten.

Wie kommt das Arbeitsgericht zu dieser Entscheidung? Dazu muss man sich einmal ansehen, unter welchen Bedingungen das Gesetz eine außerordentliche Kündigung als wirksam ansieht und wie die Rechtsprechung – insbesondere das Bundesarbeitsgericht (BAG)- die Vorschriften anwendet.

Eine Kündigung ist gerechtfertigt, wenn die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten ist

Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

Dafür ist nach ständiger Rechtsprechung des BAG zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne besondere Umstände „an sich“, das heißt also typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht.

Herr Lehmann hat seinem Kollegen zeitweise seiner Freiheit beraubt

Den wichtigen Kündigungsgrund „an sich“ sah das Arbeitsgericht Siegburg darin, dass Herr Lehmann seinen Kollegen auf der Toilette einschloss, indem er ihn durch einen alten Trick den Schlüssel zum Öffnen der Toilettentür wegnahm. Hierdurch beraubte er ihn zumindest zeitweise seiner Freiheit und machte es unmöglich, dass er die Toilette verlassen konnte.

Für nicht erheblich hielt das Gericht die Frage, ob es sich um eine Freiheitsberaubung im Sinne des § 239 StGB gehandelt hat. Bei der kündigungsrechtlichen Würdigung kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Bedeutung der arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung an, entscheidend ist die Zerstörung des Vertrauensverhältnisses.

In der Tat kommt es bei einer Kündigung darauf an, was derjenige, der kündigt von der Zukunft vernünftigerweise erwarten kann. Eine Kündigung ist keine Strafe für etwas, was geschehen ist. Entscheidend ist immer eine Prognose, die – wie wir seit Marc Twain wissen- immer dann schwierig ist, wenn sie die Zukunft betrifft.

Die Interessen beider Vertragsteile müssen gegeneinander abgewogen werden

Ein Grund für eine außerordentliche Kündigung ist anzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die nach objektiven Maßstäben geeignet sind, dass Vertrauensverhältnis in Zukunft nachhaltig zu stören.

Die Rechtsprechung prüft aber selbst dann, wenn ein solcher Grund vorliegt, auf einer zweiten Stufe, ob unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile dem Kündigenden die Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zugemutet werden kann. Das BAG hat – insbesondere in einer Entscheidung von 2010, die als „Emmely-Entscheidung“ bekannt ist – ausgeführt, dass eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen habe. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen sei, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar sei oder nicht, ließe sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen seien aber regelmäßig

  • das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung,
  • der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers,
  • eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie
  • die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf.

Es darf kein milderes Mittel zur Verfügung stehen

Eine außerordentliche Kündigung käme aber darüber hinaus nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gebe, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar seien. Als mildere Reaktionen seien insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie seien dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet seien, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck – die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen – zu erreichen.

Das Arbeitsgericht Siegburg hat im vorliegenden Fall diese Kriterien zugrunde gelegt und ist zu der Auffassung gelangt, dass das das Vertrauen der Arbeitgeberin so sehr gestört war, dass ihr die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zuzumuten ist.

Zum Nachteil des Herrn Lehmann sei zu berücksichtigen, dass er bei der Beklagten erst seit 2019 beschäftigt sei. Er sei noch jung, so dass davon auszugehen sei, dass er zeitnah einen neuen Arbeitsplatz finden werde. Zudem wäre es zwischen ihm und seinem Arbeitskollegen bereits vor dem streitgegenständlichen Vorfall zu diversen Streitigkeiten gekommen, wegen derer die beiden wiederholt bei ihrem Vorgesetzten hätten erscheinen müssen. Zudem spreche gegen Simon Lehmann, dass dieser den Vorfall der Beklagten nicht freiwillig gemeldet und den entstandenen Schaden nicht ersetzt hätte.

Eine Abmahnung war im vorliegenden Fall entbehrlich

Die Wirksamkeit der Kündigung scheitere nicht aufgrund einer fehlenden Abmahnung, da sie bei dem vorliegenden Sachverhalt wegen der besonderen Schwere des vorgeworfenen Verstoßes entbehrlich sei. Herr Lehmann hätte in keiner Weise davon ausgehen dürfen, dass die Arbeitgeberin es dulde, wenn er seinen Kollegen auf der Toilette einschließe und dort so lange eingeschlossen ließe, bis dieser die Tür eintrete, um die Toilette verlassen zu können.

Davon, dass eine Arbeitgeberin ein entsprechendes Verhalten dulde oder lediglich zum Anlass einer Abmahnung nehmen werde, sei nicht auszugehen. Dies hätte Herrn Lehmann bewusst sein müssen. Er habe nicht nur seinem Arbeitskollegen die Möglichkeit entzogen, sich ungehindert von der Toilette zu entfernen, sondern sei darüber hinaus verantwortlich dafür, dass durch das Auftreten der Toilettentür das Eigentum der Arbeitgeberin beschädigt worden sei.

Hier geht es zur Entscheidung des Arbeitsgerichts Siegburg:

https://openjur.de/u/2322198.html