Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hat im Januar 2020 ein unabhängiges Gremium berufen, das Orientierung zum Wandel der Arbeitswelt geben soll. Am Dienstag, den 18. Mai 2021, hat der „Rat der Arbeitswelt“ seinen ersten Bericht an den Bundesminister übergeben.
Aufgabe des Rates ist es, auf Basis wissenschaftlicher Analysen und praktischer Erfahrung Empfehlungen auszuarbeiten, wie Unternehmen, ihre Beschäftigten, die Sozialpartner und die Politik die zukünftige Arbeitswelt gestalten können. Besetzt ist er mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis, wie etwa Frank Bsirske, ehemaliger Vorsitzender der Gewerkschaft ver.di oder Matthias Möreke, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender des Werks Braunschweig der Volkswagen AG.
Aber auch die Seite der Arbeitgeber*innen und die Wissenschaft sind angemessen vertreten. Der Rat soll jährlich dem Arbeitsminister einen „Arbeitswelt-Bericht“ übergeben, der Handlungsempfehlungen für die betriebliche Praxis und für die Gestaltung von politischen Rahmenbedingungen enthält.
Der Rat würdigt die Leistung aller betrieblichen Akteure in der Pandemie
Im ersten Bericht nimmt die Corona Pandemie selbstverständlich einen großen Raum ein. Der Rat würdigt insbesondere das gemeinsame Handeln und das Engagement von Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen zur Bewältigung der Pandemie. Er wies darauf hin, dass die überwiegende Mehrheit aller Betriebe innerhalb kürzester Zeit umfangreiche und erfolgreiche Maßnahmen zum Infektions- und Arbeitsschutz getroffen hat.
„Der Rat würdigt ausdrücklich die einzigartige Leistung aller betrieblichen Akteure: der Beschäftigten, der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, der Interessensvertretungen und der betrieblichen Arbeitsschützer*innen“, sagt Ratsmitglied Isabel Rothe, Präsidentin der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA): „Nun gilt es aus der Pandemie zu lernen, zum Beispiel für den künftigen Umgang mit gesundheitlichen Risiken, für die Weiterentwicklung des Arbeitsschutzes in großen wie in kleinen Unternehmen, wie auch für die künftige Gestaltung des Home-Offices.“
Bei Homeoffice und Homeschooling gibt es deutlichen Verbesserungsbedarf
Der Rat zeigt auf, dass Homeoffice und Homeschooling zwar erheblich zum Schutz vor Infektionen beigetragen haben. Allerdings seien beide Maßnahmen zum Teil mit mangelnder technischer Unterstützung und unklaren Arbeitszeit- und Erreichbarkeitsregeln einhergegangen. Für die Zukunft gelte es, insoweit angemessene Regelungen zu schaffen, um ein gesundheitsgerechtes und produktives Arbeiten auch im Home-Office zu ermöglichen. Hierzu seien betriebliche Regelungen –beispielswiese zur ergonomischen Ausstattung, zur Erreichbarkeit oder zum Umgang mit Beschäftigtendaten –ebenso erforderlich, wie gesetzliche Rahmenbedingungen.
Im Bericht wird insbesondere betont, dass Standards für die Erfassung der Arbeitszeit umgesetzt werden müssten. Darüber hinaus gebe es Regelungslücken beim mobilen Arbeiten, insbesondere für die Arbeit im Home-Office. Für diese gebe es derzeit keine Normierung, anders als bei der Telearbeit.
Präsenz im Betrieb muss trotz Homeoffice gewährleistet sein
Auch wenn man davon ausgehen könne, dass das Arbeiten im Home-Office zukünftig an Bedeutung gewinne, sei aus Sicht des Rates gleichzeitig zu gewährleisten, dass alle Beschäftigten noch in ausreichendem Umfang im Betrieb präsent seien. Nur so könne hinreichende Kommunikation und Innovationskraft im betrieblichen Alltag sichergestellt werden.
Die Corona-Krise habe auch deutlich gemacht, dass geringfügig Beschäftigte nicht[HW1] abgesichert seien. Es sei nicht mehr zeitgemäß, geringfügige Beschäftigung steuer- und abgabenrechtlich zu privilegieren. „Für viele Minijobber lohnt es sich bislang nicht, länger zu arbeiten“, erklärt Ratsmitglied Ulrich Walwei, Vizedirektor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung.
Der Rat empfiehlt, die Regeln für geringfügige Beschäftigung stufenweise abzuschaffen. Bestehende Verträge sollten aber Bestandsschutz haben. Ausnahmen sollten zudem für Rentner*innen und Studierende geregelt werden.
Verbesserungen für Solo-Selbstständige und Scheinselbstständigkeit verhindern
Der Rat sorgt sich auch um die Zukunft der mehr als zwei Millionen Soloselbstständigen im Land. Er empfiehlt, Selbstständigen den Zugang zur freiwilligen Arbeitslosenversicherung zu erleichtern. Auch sollten nach seiner Auffassung Selbstständige zur Altersvorsorge verpflichtet werden. Zudem sollte der Mindestbeitrag für freiwillig Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung abgesenkt werden.
Der Bericht empfiehlt auch, klare Kriterien einzuführen, um Scheinselbstständigkeit zu vermeiden. Scheinselbstständigkeit verzerre den Wettbewerb in relevantem Umfang, meint Ratsmitglied Stephan Schwarz, geschäftsführender Gesellschafter des Familienunternehmens Gebäudereinigung GRG Services Berlin und ehemaliger Präsident der Handwerkskammer Berlin: „Deshalb braucht es einen klaren Kriterienkatalog. Er kann verhindern, dass Beschäftigten soziale Rechte vorenthalten werden und der Wettbewerb zu Lasten regelkonform agierender Unternehmen verzerrt wird.“
Die Situation der beruflichen Pflege muss verbessert werden
Der Rat empfiehlt zudem, dass die berufliche Pflege dringend strukturell zu verbessen ist. Geeignete Instrumente würden teilweise bereits vorliegen. Jetzt gehe es darum, diese bundeseinheitlich zu implementieren. Erforderlich sei etwa, die Tarifbindung im Bereich der Pflege zu erhöhen und flächendeckend für bessere Löhne zu sorgen.
Verbesserungsfähig ist nach Auffassung des Rates zudem das Ausbildungs- und Qualifizierungssystem im Bereich der Pflege. Es geht darum, eine hohe und möglichst bundeseinheitliche pflegerische Qualifikation sicherzustellen.
Der Rat empfiehlt dem Arbeitsministerium, ressortübergreifend zu vereinbaren, eine arbeits- und beschäftigungsorientierte „Digitalen Agenda der Pflege“ umzusetzen insbesondere, um den handlungsorientierten Wissenstransfer in die betriebliche Praxis zu stärken. Insbesondere soll die betriebliche Mitbestimmung der Beschäftigten gestärkt werden. Der Rat plädiert überdies dafür, eine Kompetenzplattform aufzubauen, die den interdisziplinären Wissens- und Kompetenzerwerb betrieblicher Interessenvertretungen in zentralen Reorganisationsfeldern der beruflichen Pflege stärkt.
Die angebotenen Ausbildungsplätze passen immer seltener zu den Berufswünschen junger Menschen
Ein weiteres Handlungsfeld des Berichtes betrifft das lebenslange Lernen als Schlüsselkompetenz für die Zukunft. Die schulische, berufliche und akademische Bildung würden die Basis für ein lebenslanges Lernen legen. Besonders die duale Berufsausbildung sei dabei hervorzuheben. Dort liege die größte Herausforderung darin, dass die angebotenen Ausbildungsplätzen immer seltener zu den Wunschberufen der jungen Menschen passen würden. Eine gestärkte Tarifbindung sowie attraktive langfristige Arbeits- und Entlohnungsbedingungen könnten dem entgegensteuern.
Die nationale Weiterbildungsstrategie ist ein erster richtiger Schritt für mehr öffentliche Verantwortung
Weiterbildung sei unerlässlich, um die Beschäftigten und Betriebe für eine Arbeitswelt im Wandel fit zu machen. Sie müsse man sich aber leisten können. Insoweit seien Finanzierungslücken zu schließen. Der Rat empfiehlt etwa, die Altersgrenze im BAföG deutlich anzuheben sowie den Vorrang einer anerkannten Berufsausbildung vor der Vermittlung in Arbeit im SGB II rechtlich zu verankern.
„Der Strukturwandel trifft in Deutschland auf ein außerordentlich komplexes Weiterbildungssystem“, sagt der ehemalige Ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske. Die Nationale Weiterbildungsstrategie sei ein erster richtiger Schritt für mehr öffentliche Verantwortung in diesem Bildungsbereich. Sie sollte jedoch ausgebaut und mit einer regionalen Koordinationsstruktur unterlegt werden. Und schlussendlich bedarf es Mindestqualitätsstandards für Weiterbildungsanbieter sowie klarer Prozesse, um diese Standards zu zertifizieren und zu evaluieren.
Hier geht es zum ersten Arbeitswelt-Bericht:
https://www.arbeitswelt-portal.de/fileadmin/user_upload/awb_2021/210518_Arbeitsweltbericht.pdf