Muss ein Geschäft geschlossen werden, weil eine Behörde das verfügt, trägt der Geschäftsinhaber grundsätzlich das Betriebsrisiko. Er muss also seinen Beschäftigten den Lohn weiterzahlen. Das gilt auch, wenn eine Filiale aufgrund behördlicher Anordnung wegen der Corona-Pandemie geschlossen wird. Das hat das Landesarbeitsgericht Niedersachsen jetzt entschieden.
Im Streitfall geht es um die Zahlung von Arbeitsentgelt für den Monat April 2020. Rita Mayer (Name von der Redaktion geändert) war in einer Filiale ihrer Arbeitgeberin als Minijobberin beschäftigt. Im April war diese Filiale aufgrund behördlicher Anordnung wegen der Corona-Pandemie geschlossen. Die Arbeitgeberin konnte Frau Mayer einen Monat lang nicht beschäftigen.
Keine Arbeit, keinen Lohn – dachte sich der Arbeitgeber und Frau Mayer sollte zusehen, wie sie über die Runden kam. Kurzarbeitergeld war hier nicht möglich, da Minijobber nicht in die Arbeitslosenversicherung einzahlen.
Muss ein Betrieb wegen behördlicher Verfügung geschlossen werden, trägt der Arbeitgeber grundsätzlich das Betriebsrisiko
Indessen war Rita Mayer aber gut beraten und klagte das Arbeitsentgelt, das ihr Arbeitgeber ihr vorenthalten hatte, beim Arbeitsgericht Verden ein.
So einfach, wie sich der voreilige Arbeitgeber es vorgestellt hatte, ist die Sache nämlich nicht. Es gibt im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) eine Vorschrift, die den sogenannten „Annahmeverzug“ regelt. Sie bestimmt mithin, welche Rechtsfolge eintritt, wenn ein Arbeitgeber Arbeitnehmer*innen entgegen seiner Pflicht nicht beschäftigt. § 615 BGB bestimmt für diesen Fall, dass der Arbeitgeber das Entgelt trotzdem zahlen muss.
Der Arbeitnehmer muss sich jedoch den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er infolge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt.
§ 615 BGB trifft in seinem dritten Satz aber noch eine weitergehende Regelung für den Fall, dass der Arbeitgeber keine Schuld trägt am Ausfall der Möglichkeit, den Arbeitnehmer zu beschäftigen. Die Regeln für den „Annahmeverzug“ gelten entsprechend in den Fällen, in denen der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls trägt.
Damit wären wir beim Thema „Betriebsrisiko“.
Der Arbeitgeber hat die Möglichkeit, sich gegen die meisten Risiken zu versichern
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) stellt dabei auf das „Beherrschbarkeitskriterium“ ab. Der Unternehmer/ Arbeitgeber verfügt über die Organisations- und Leitungsgewalt im Betrieb. Er zieht aus dem Betrieb die Erträge und deckt damit auch die Kosten. Deshalb kann er Risiken besser kalkulieren als seine Arbeitnehmer. Deswegen wäre es unangemessen, letzteren die Risiken auch nur teilweise aufzubürden. Zudem hat der Arbeitgeber die Möglichkeit, sich gegen die meisten Risiken zu versichern. Im Fall des vorübergehenden Arbeitsausfalls kann der Arbeitgeber unter gewissen Voraussetzungen auch Kurzarbeit anordnen und so sein Risiko mindern.
Vom Grundsatz, dass der Arbeitgeber das Betriebsrisiko trägt, gibt es zwei gewichtige Ausnahmen: die / der Arbeitnehmer*in trägt das Risiko für den Weg zur Arbeit. Kann sie / er etwa wegen des Wetters nicht zur Arbeit kommen, muss der Arbeitgeber kein Entgelt zahlen.
Das Wegerisiko und der Arbeitskampf sind zwei Ausnahmen beim Betriebsrisiko
Die zweite Ausnahme stellt das Arbeitskampfrisiko dar. Hier stellt die Rechtsprechung auf die Grundsätze der Kampfparität und Tarifautonomie ab. Liegt der Grund für den Arbeitsausfall in der „Sphäre“ der Arbeitnehmer, tragen diese auch das Risiko mit der Folge, dass der Arbeitgeber kein Entgelt zahlen muss.
Frau Mayer hatte jedenfalls vor dem Arbeitsgericht Verden und in zweiter Instanz vor dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen Erfolg.
Sei ein Geschäft wegen Schließung des Geschäfts für Kunden geschlossen, trage der Arbeitgeber das Betriebsrisiko, so das Landesarbeitsgericht. § 615 BGB sei danach eine spezielle Gefahrtragungsregel Sie gelte unabhängig davon, ob der Arbeitgeber nicht willens oder nicht fähig sei, die Leistung anzunehmen.
Der Arbeitgeber hätte Frau Mayer auch mit anderen Tätigkeiten beschäftigen können
Im Übrigen sei laut Allgemeinverfügung der Freien Hansestadt Bremen nur die Öffnung von Einzelhandelsgeschäften für den Publikumsverkehr verboten gewesen. Damit wäre es durchaus möglich gewesen, Frau Mayer mit anderen zumutbaren Aufgaben im Geschäft zu beschäftigen.
Zwar treffe es zu, dass in der Entwicklung der Rechtsprechung zum Betriebsrisiko verschiedene Fallgruppen zu unterscheiden seien. Eine Sonderrolle spiele dabei die Fallgruppe von arbeitskampfbedingten Störungen.
Gesundheitspolizeilich angeordnete Betriebsschließungen beträfen üblicherweise nur einen einzelnen Betrieb und hätten auch regelmäßig dort eine konkrete Ursache. Bei witterungsbedingten Betriebsstörungen, etwa bei Zusammenbruch des Straßenverkehrs, könne auch dem Arbeitnehmer das Wegerisiko treffen.
Die während der Corona-Pandemie eingetretene Situation, dass behördliche Schließungen einerseits großflächig, nämlich landes- und bundesweit angeordnet und andererseits auch für längere Zeiträume aufrechterhalten worden seien, sei soweit ersichtlich bisher in der Rechtsprechung nicht behandelt.
Das Betriebsrisiko spiegelt den betriebswirtschaftlichen Vorteil, den das Unternehmen durch den Einsatz von geringfügig Beschäftigten Arbeitnehmern erzielt
Dass eine Vielzahl von Unternehmen und damit eine Vielzahl von Arbeitgebern betroffen seien, ändere aber auf der Ebene der arbeitsvertraglichen Risikozuweisung nichts Entscheidendes. Gemäß der bisherigen Rechtsprechung käme es nicht darauf an, ob der Arbeitgeber eine Schließung seines Betriebes zu vertreten habe.
Im Übrigen realisiere sich in dem wirtschaftlichen Risiko, die Arbeitskraft der Klägerin nicht verwerten zu können, zugleich eine Konsequenz der Vertragsgestaltung durch die Beklagte. Bei sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen könne eine derartige Situation durch die Anordnung von Kurzarbeit unter Inanspruchnahme von Leistungen der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung gemildert werden. Das Betriebsrisiko spiegele insoweit den betriebswirtschaftlichen Vorteil, den das Unternehmen durch den Einsatz von geringfügig Beschäftigten Arbeitnehmern erziele.
Die Sache geht allerdings beim Bundesarbeitsgericht weiter. Wir werden insoweit Augen und Ohren offenhalten.
Hier geht es zur Entscheidung des LAG Niedersachsen: