Muss das Jobcenter die Kosten für ein IPad als Härtefallmehrbedarf anerkennen?

Bis Ende 2020 durfte das Jobcenter einmalig anfallende Kosten nicht als Härtefallmehrbedarf anerkennen. Das hat das Bundessozialgericht jetzt in einer Entscheidung vom Mai 2021 bestätigt. Die Rechtslage hat sich aber geändert und seit Januar 2021 erfasst die Vorschrift auch einmalige atypische Bedarfslagen. Das BSG konnte das bei seiner Entscheidung allerdings nicht berücksichtigen.

Bundessozialgericht, Urteil vom 12. Mai 2021 – B 4 AS 88/20 R

Es geht um eine Schülerin, die die 5. Klasse einer Oberschule besucht. Das didaktische Unterrichtskonzept dieser Schule beinhaltet den Einsatz eines IPads des Herstellers Apple. Dieses Tablet wird nicht von der Schule gestellt, sondern muss von den Eltern bezahlt werden.

Dabei bereitet Apple die iPads für Bildungseinrichtungen vor. Die Tablet-Computer sind gesperrt, wenn sie in der Schule ankommen. Dort werden sie mit einer Geräteverwaltungssoftware aktiviert, mit den für den Schulgebrauch benötigten Apps „gepusht“ und einer/m Schüler*in zugewiesen.

Für den Unterricht ist ein IPad erforderlich

Für die Anwendungsverwaltung und Datenspeicherung setzt die Oberschule auf iCloud. Apple erlaubt Bildungseinrichtungen, speziell verwaltete Apple-IDs einzurichten, welche bis zu 200 GB kostenlosen iCloud-Speicherplatz bereitstellen.

Die logistische Beschaffung und die technische Vorbereitung hat die Oberschule einem Unternehmen übertragen, das das iPad als Paket mit einer Schutzhülle und einer Versicherung anbietet. Bei Bedarf kann die Anschaffung der Geräte nach sozialen Kriterien gefördert werden. Neben dem Sofortkauf bietet die Gesellschaft für digitale Bildung mbH den Mietkauf bei 36 Monatsraten bzw. eine Geräteanmietung über eine Laufzeit von 24, 36 oder 48 Monaten an.

Das Jobcenter lehnt es ab, die Kosten für das IPad als Mehrbedarf anzuerkennen

Die Schülerin lebt zusammen mit einem älteren Bruder bei ihrer Mutter. Seit Jahren bezieht die Familie schon Arbeitslosengeld II vom Jobcenter.

Im Februar 2017 beantragte die Schülerin beim Jobcenter, dass sie die Kosten für ein Apple iPad Air II mit 32 GB Speicherkapazität in Höhe von 380,00 € erstattet bekommt. Sie legte eine Bestätigung der Schule über zwei Kaufvarianten vor. Dabei war das Kästchen zu dem Feld: “Kauf 380 € einmalig“ angekreuzt, während das weitere Feld: “Mietkauf 11 € monatlich (36 Monate)“ freigeblieben war.

Das Jobcenter lehnte mit Bescheid vom 21. Februar 2017 und Widerspruchsbescheid vom 30. März 2017 den Antrag ab, weil es der Schülerin bereits mit persönlichem Schulbedarf ausgestattet hatte. Eine weitere Ausstattung sei vom Gesetz nicht vorgesehen. Eine Kostenübernahme könne nur im Rahmen eines Darlehens erfolgen.

Das Sozialgericht gab der Schülerin Recht, das Landessozialgericht allerdings nicht

Das Sozialgericht Hannover hat mit Urteil vom 5. Juli 2019 die angegriffenen Bescheide aufgehoben und den Beklagten verurteilt, der Klägerin Leistungen in Höhe von 380 EURO für ein iPad Air II zu gewähren, sowie die Berufung zugelassen. Das Jobcenter hatte das Rechtsmittel rechtzeitig eingelegt. Daraufhin hatte das Landessozialgericht der Berufung stattgegeben und die Klage der Schülerin abgewiesen.

Das Bundessozialgericht (BSG) hatte jetzt über die Revision der Schülerin zu entscheiden. Sie hat sich dabei auf § 21 Absatz 6 des 2. Sozialgesetzbuches (SGB II) berufen. Anzuwenden war dabei eine noch bis Ende 2020 geltende Fassung der Vorschrift.

Bei Leistungsberechtigten wird danach ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht.

Bei den Kosten für den Kauf des Tablets handele es sich nicht um einen laufenden Bedarf

Der 4. Senat des BSG hat die Revision zurückgewiesen. Die Kosten für das Tablet seien zu Recht nicht als Mehrbedarf berücksichtigt worden. Die Voraussetzungen für einen Härtefallmehrbedarf lägen nach der damals geltenden Vorschrift nicht vor. Bei den Kosten für den Kauf des Tablets handele es sich jedenfalls nicht um einen laufenden Bedarf. Der Bedarf sei vielmehr nur einmalig im Zeitpunkt des Kaufs des Tablets entstanden.

Ob nach der ab Januar 2021 geltenden Fassung der Fall anders zu beurteilen wäre, konnte das BSG nicht entscheiden. Geändert wurde das Gesetz durch den „Sozialschutz-Paket III“.

Die Vorschrift berücksichtigt nunmehr auch einen einmaligen Bedarf. Allerdings ist weitere Voraussetzung, dass ein Darlehen ausnahmsweise nicht zumutbar oder wegen der Art des Bedarfs nicht möglich ist. 

§ 21 Abs. 6 SGB II berücksichtigt auch einen unabweisbarer Mehrbedarf für digitale Endgeräte

Der Gesetzgeber hat zudem inzwischen erkannt, dass es für Hartz-IV-Empfänger schwierig ist, Unterrichtsmaterialien für ihre Kinder zu beschaffen. Er hat einen Absatz 6a in die Vorschrift eingefügt. Danach sind Kosten für die Anschaffung oder Ausleihe von Schulbüchern oder gleichstehenden Arbeitsheften als Mehrbedarfe anzuerkennen, soweit das aufgrund von Vorschriften oder schulischen Vorgaben nötig ist.

Gemäß Weisungen der Bundesagentur für Arbeit kann nach dem neugefassten § 21 Abs. 6a SGB II ein unabweisbarer Mehrbedarf für digitale Endgeräte, die für den pandemiebedingten Distanz-Schulunterricht erforderlich sind, bestehen. 

Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat allerdings darauf hingewiesen, dass auch hier die Leistungsberechtigten darlegen müssen, warum der Bedarf „unabweisbar“ ist. Insbesondere müssen sie darlegen, dass der Bedarf an digitalen Endgeräten nicht anderweitig, zum Beispiel durch Zuwendungen Dritter gedeckt werden kann.


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