Beamte, die im Rahmen ihres Vorbereitungsdienstes studieren, müssen ihre Anwärterbezüge zurückzahlen, wenn sie vor Ablauf einer Mindestdienstzeit von fünf Jahren aus einem Grund aus dem öffentlichen Dienst ausscheiden, den sie selbst zu vertreten haben. Diese Vorschrift greift aber nicht, wenn sie den Dienst beenden, bevor sie die Ausbildung abgeschlossen haben. Die DGB Rechtsschutz GmbH verhalf jetzt mit dieser Begründung einem entlassenen Anwärter für den Polizeidienst zu einem Erfolg vor dem Verwaltungsgericht.
Verwaltungsgericht Wiesbaden, Urteil vom 28. April 2021 – 2 K 549/20.WI
Olaf Siegburg (Name von der Redaktion geändert) war Anwärter zum Kriminalkommissar im Land Hessen. Ab dem Zeitpunkt, an dem er ernannt worden war, zahlte ihm das Land Anwärterbezüge nach dem Hessischen Besoldungsgesetzes (HBesG).
Sein Dienststellenleiter hatte ihm bei Beginn seines Dienstes eine Belehrungsmappe für Studierende der hessischen Polizei überreicht. In dieser wurde er darüber belehrt, dass nach § 58 Abs. 3 HBesG die Bezüge für Anwärter, die im Rahmen ihres Vorbereitungsdienstes ein Studium ableisten, von Auflagen abhängig gemacht werden kann.
Ausdrücklich stand in der Mappe wörtlich folgende Regel:
„Sie dürfen im Anschluss an Ihre Ausbildung nicht vor Ablauf einer Mindestdienstzeit von fünf Jahren aus einem von Ihnen zu vertretenden Grunde aus dem öffentlichen Dienst ausscheiden (§ 29 Abs. 1BBesG)“
Das Land entließ den Anwärter im Mai 2019 wegen disziplinarrechtlich relevanter Verstöße gegen die Dienstpflicht
Mit Verfügung vom 13. Mai 2019 entließ das Land Herrn Siegburg unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf. Hintergrund waren zwei disziplinarrechtliche Vorgänge, die einen Vorfall vom September 2018 und einen weiteren Vorfall vom April 2019 betrafen. Wegen des erstgenannten Vorfalls verurteilte das Amtsgerichts Hünfeld Siegburg wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 10,00 €.
Wenige Tage nach der Entlassung teilte das Land mit, dass der Anwärter die Prüfung endgültig nicht bestanden habe
Am 21. Mai 2019 teilt die Hessische Hochschule für Polizei und Verwaltung ihm mit, dass er eine Prüfung im Studienabschnitt 3 wiederholt nicht bestanden habe. In diesem Zusammenhang wies die Hochschule ihn darauf hin, dass für Polizeivollzugsbeamt*innen auf Widerruf, die die Modulprüfungen auch nach Wiederholung nicht bestanden hätten, das Beamtenverhältnis mit Ablauf des Tages ende, an dem Ihnen das Prüfungsergebnis bekannt gegeben werde.
Mit Bescheid vom 6. November 2019 forderte das Land Anwärterbezüge in Höhe von insgesamt 16.707,15 € brutto zurück. Es begründete diesen Schritt damit, dass die Bezüge nur unter Auflagen gezahlt worden seien. Zurückzuzahlen seien sie von einem entlassenen Anwärter unter anderem dann, wenn er die Ausbildung vorzeitig aus einem von ihm zu vertretenden Grund beende.
Wären die Prüfer schneller gewesen, hätte das Land den Anwärter nicht mehr wegen disziplinarrechtlicher Verstöße entlassen können
Herr Siegburg sei wegen erheblicher Zweifel an seiner charakterlichen Eignung aus dem Beamtenverhältnis ausgeschieden und mit Verfügung der Polizeiakademie vom 13. Mai 2019 mit sofortiger Wirkung aus dem Dienst entlassen worden. Diese Entlassung sei vom ihm zu vertreten.
Olaf Siegburg war indessen nicht bereit, die Bezüge zurückzuzahlen. Er wies darauf hin, dass es vom Zufall abhängig gewesen sei, dass die Verfügung wegen seiner Entlassung aufgrund der disziplinarrechtlichen Vorgänge vor der Verfügung zur Entlassung wegen wiederholten Nichtbestehens beim ihm eingetroffen sei.
Hätten die Prüfer etwas schneller korrigiert, wäre ihm vor der Entlassung aufgrund der disziplinarrechtlichen Vorgänge mitgeteilt worden, dass er die Prüfung endgültig nicht bestanden habe. In diesem Fall wäre die Entlassung wegen der disziplinarrechtlichen Verstöße ins Leere gelaufen und das Land hätte die Bezüge nicht zurückgefordert.
Verwaltungsgericht: der Anwärter ist doch gar nicht „im Anschluss an die Ausbildung“ entlassen worden
Herr Siegburg ist mit Hilfe der DGB Rechtsschutz GmbH gegen die Verfügungen des Landes vorgegangen, insoweit sie die Rückforderungen der Bezüge betreffen. Das Verwaltungsgericht Wiesbaden gab ihm jetzt Recht. Das Land ist nicht berechtigt gewesen, die Anwärterbezüge von ihm zurückzuverlangen.
Es lägen keine Umstände vor, wegen der das Land davon ausgehen könne, Herr Siegburg habe Auflagen nicht eingehalten. Diese besagten, dass der Anwärter im Anschluss an die Ausbildung nicht vor Ablauf einer Mindestdienstzeit von fünf Jahren aus einem von ihm zu vertretenden Grunde aus dem öffentlichen Dienst ausscheiden dürfe.
Herr Siegburg sei indessen nicht im Anschluss an die Ausbildung aus dem öffentlichen Dienst ausgeschieden. Er habe seine Ausbildung vielmehr überhaupt nicht beendet, sondern sei ohne durch die Entlassungsverfügung der Polizeiakademie Hessen vom Mai 2019 aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf des Landes Hessen vorzeitig entlassen worden, ohne dass er einen Abschluss erlangt hätte.
Der eindeutige Wortlaut der Auflage („im Anschluss an die Ausbildung“), könne aus Sicht eines objektiven Dritten nach dem allgemeinen Sprachgebrauch nur dahingehend zu verstehen sein, dass die Ausbildung bereits abgeschlossen sei.
Einschlägige Vorschriften:
§ 12 Hessisches Besoldungsgesetz (HBesG)
Rückforderung von Bezügen
(1) Wird eine Beamtin, ein Beamter, eine Richterin oder ein Richter durch eine gesetzliche Änderung der Bezüge einschließlich der Einreihung ihres oder seines Amtes in die Besoldungsgruppen der Besoldungsordnungen mit rückwirkender Kraft schlechter gestellt, so sind die Unterschiedsbeträge nicht zu erstatten.
(2) Im Übrigen regelt sich die Rückforderung zuviel gezahlter Bezüge nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Der Kenntnis des Mangels des rechtlichen Grundes der Zahlung steht es gleich, wenn der Mangel so offensichtlich war, dass die Empfängerin oder der Empfänger ihn hätte erkennen müssen. Von der Rückforderung kann aus Billigkeitsgründen mit Zustimmung der obersten Dienstbehörde oder der von ihr bestimmten Stelle ganz oder teilweise abgesehen werden. § 13 bleibt unberührt.
(3) Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Tode der Beamtin, des Beamten, der Richterin oder des Richters auf ein Konto bei einem Geldinstitut überwiesen wurden, gelten als unter Vorbehalt erbracht. Das Geldinstitut hat sie der überweisenden Stelle zurückzuüberweisen, wenn diese sie als zu Unrecht erbracht zurückfordert. Eine Verpflichtung zur Rücküberweisung besteht nicht, soweit über den entsprechenden Betrag bei Eingang der Rückforderung bereits anderweitig verfügt wurde, es sei denn, dass die Rücküberweisung aus einem Guthaben erfolgen kann. Das Geldinstitut darf den überwiesenen Betrag nicht zur Befriedigung eigener Forderungen verwenden.
(4) Soweit Geldleistungen für die Zeit nach dem Tode der Beamtin, des Beamten, der Richterin oder des Richters zu Unrecht erbracht worden sind, haben die Personen, die die Geldleistung in Empfang genommen oder über den entsprechenden Betrag verfügt haben, diesen Betrag der überweisenden Stelle zu erstatten, sofern er nicht nach Abs. 3 von dem Geldinstitut zurücküberwiesen wird. Ein Geldinstitut, das eine Rücküberweisung mit dem Hinweis abgelehnt hat, dass über den entsprechenden Betrag bereits anderweitig verfügt wurde, hat der überweisenden Stelle auf Verlangen Namen und Anschrift der Personen, die über den Betrag verfügt haben, und etwaiger neuer Kontoinhaberinnen oder neuer Kontoinhaber zu benennen. Ein Anspruch gegen die Erben bleibt unberührt.
§ 58 HBesG
Anwärterbezüge
(1) Beamtinnen und Beamte auf Widerruf im Vorbereitungsdienst (Anwärterinnen und Anwärter) erhalten Anwärterbezüge.
(2) Zu den Anwärterbezügen gehören der Anwärtergrundbetrag nach Anlage VI und die Anwärtersonderzuschläge. Daneben werden der Familienzuschlag und die vermögenswirksamen Leistungen gewährt. Zulagen und Vergütungen werden nur gewährt, wenn dies gesetzlich besonders bestimmt ist.
(3) Für Anwärterinnen und Anwärter, die im Rahmen ihres Vorbereitungsdienstes ein Studium ableisten, kann die Gewährung der Anwärterbezüge von der Erfüllung von Auflagen abhängig gemacht werden.
§ 812 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
Herausgabeanspruch
(1) Wer durch die Leistung eines anderen oder in sonstiger Weise auf dessen Kosten etwas ohne rechtlichen Grund erlangt, ist ihm zur Herausgabe verpflichtet. Diese Verpflichtung besteht auch dann, wenn der rechtliche Grund später wegfällt oder der mit einer Leistung nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts bezweckte Erfolg nicht eintritt.
(2) Als Leistung gilt auch die durch Vertrag erfolgte Anerkennung des Bestehens oder des Nichtbestehens eines Schuldverhältnisses.