Darlegungslast im Überstundenprozess

Arbeitgeber sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) verpflichtet, die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten zu erfassen und zu kontrollieren. Das hat allerdings keine Auswirkung auf die Darlegungslast im Überstundenprozess, meint der fünfte Senat des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen.

LAG Niedersachsen, Urteil vom 6.5.2021, 5 SA 1292/20

Arbeitnehmer*innen zeichnen sich dadurch aus, dass sie gegen Entgelt für einen anderen Arbeit leisten. Rechtlich begründet wird ein Arbeitsverhältnis durch einen Arbeitsvertrag, in dem geregelt ist, wie viel ihrer kostbaren Lebenszeit Arbeitnehmer*innen ihren Arbeitgebern zur Verfügung zu stellen haben.

Es kommt aber regelmäßig vor, dass Beschäftigte mehr Zeit der Arbeit widmen müssen, als dies der Arbeitsvertrag eigentlich vorsieht. Diese zusätzliche Zeit wollen Beschäftigte zumeist vergütet haben. Zum Problem wird das, wenn der Arbeitgeber nur mit den Schultern zuckt und meint, er habe die Arbeit so bemessen, dass sie in der Vertragsarbeitszeit zu leisten sei. Wenn ein Arbeitnehmer mehr Zeit benötige, sei das auch dessen Problem. Überstunden habe er weder angeordnet noch seien sie notwendig gewesen.

Vor dem Arbeitsgericht muss grundsätzlich derjenige den Beweis führen, der etwas haben will

In diesem Fall hilft nur noch der Weg zum Arbeitsgericht. Doch das Arbeitsgericht darf von Amts wegen nichts ermitteln. Grundsätzlich muss vor einem Arbeitsgericht derjenige alle Tatsachen darlegen und beweisen, die zum Tatbestand einer Rechtsnorm gehören, die seinen Anspruch stützt.  Das ist die sogenannte „Rosenbergsche Formel“. Beim Überstundenprozess ist es etwas komplizierter.

Klagt ein/e Arbeitnehmer*in Arbeitsentgelt ein, besteht nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast.  Sie/er muss demnach zunächst vortragen und darlegen, an welchen Tagen sie/er von wann bis wann Arbeit geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten hat. Danach obliegt es dem Arbeitgeber, sich seinerseits substantiiert zum Vortrag des Arbeitnehmers zu erklären und darzulegen, welche Arbeiten er dem Arbeitnehmer zugewiesen hat und an welchen Tagen der Arbeitnehmer von wann bis wann diesen Weisungen –ggf. nicht –nachgekommen ist.  Lässt sich der Arbeitgeber nicht substantiiert ein, so gilt der Sachvortrag des Arbeitnehmers insoweit als zugestanden (§  138  Abs.  3 ZPO).

Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die Arbeitszeit seiner Beschäftigten zu erfassen und zu kontrollieren, meint das Arbeitsgericht Emden

Das Arbeitsgericht Emden hatte eine Sache zu entscheiden, in der es auf der Basis dieser Rechtsprechung einem Arbeitnehmer Recht gegeben hat, der als Auslieferungsfahrer gearbeitet hatte. Er machte Überstundenvergütung für einen Zeitraum von 1,5 Jahren auf Basis von technischen Zeitaufzeichnungen geltend, die sein Arbeitgeber erstellt hatte. Ob diese Aufzeichnungen erstellt worden waren, damit die Arbeitszeit erfasst werden kann, war zwischen den Parteien streitig.

Das Arbeitsgericht hatte der Klage insoweit stattgegeben und das damit begründet, dass der Arbeitgeber verpflichtet gewesen sei, die Arbeitszeit seiner Beschäftigten zu erfassen und zu kontrollieren.  Dazu sei er verpflichtet, würde man § 618 BGB europarechtskonform auslegen. Da er dem nach eigenem Vortrag nicht nachgekommen sei, reichten die technischen Aufzeichnungen als Indiz für die geleistete Arbeitszeit aus, die der Arbeitnehmer vorgelegt habe.

Der Europäische Gerichtshof ist nicht befugt, etwas zu Fragen der Vergütung zu sagen, meint das LAG Niedersachsen

Der Europäische Gerichtshof hatte im Mai 2019 entschieden, dass es den europäischen Arbeitszeitvorschriften zuwider liefe, wenn ein Mitgliedsstaat Arbeitgeber nicht verpflichte, ein System einzurichten, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden könne.

Die Auffassung, dass hieraus Rückschlüsse auf die Darlegungs- und Beweislast im Überstundenprozess gezogen werden könnte, teilte die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen indessen nicht. Dem EuGH komme keine Kompetenz zur Entscheidung über Fragen der Vergütung zu. Dies ergebe sich aus Art. 153 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV).

Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Überstundenvergütung habe der Kläger daher nicht dargelegt. Das LAG hat allerdings die Revision zum Bundesarbeitsgericht (BAG) zugelassen.

Hier geht es zur Pressemitteilung des LAG Niedersachsen:

https://landesarbeitsgericht.niedersachsen.de/startseite/aktuelles/presseinformationen/lag-niedersachsen-andert-urteil-des-arbg-emden-zur-darlegungslast-im-uberstundenprozess-ab-200252.html