Über die Frage, ob ein schwerbehinderter Bewerber mit seiner Entschädigungsklage Erfolg hat, weil er nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurde, konnte das Bundesarbeitsgericht nicht abschließend entscheiden. Die Sache wurde an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen, weil der Bewerber zwar im Hochschulabschluss nicht die vorausgesetzte Mindestnote 2,0 erreicht hatte, aber noch unklar ist, ob im Gegensatz zum Kläger andere Bewerber mit schlechteren Noten als 2,0 zum Vorstellungsgespräch eingeladen wurden.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29.04.2021 – 8 AZR 279/20 –
Im Sommer 2018 schrieb die Beklagte für eine Beschäftigung im Bundesamt für Verfassungsschutz mehrere Stellen als Referenten/Referentinnen aus. In der Stellenausschreibung heißt es u.a.:
„Sie verfügen über ein wissenschaftliches Hochschulstudium … der Politik-, Geschichts- oder Verwaltungswissenschaften … mit mindestens der Note ‚gut‘.
Der Kläger, der sein Studium der Fächer Politikwissenschaften, Philosophie und Deutsche Philologie mit der Note „befriedigend“ abgeschlossen hat, bewarb sich innerhalb der Bewerbungsfrist unter Angabe seiner Schwerbehinderung. Zu einem Vorstellungsgespräch wurde er nicht eingeladen. Die Beklagte teilte ihm mit Mail vom 17. Juli 2018 mit, dass er nicht in die engere Auswahl einbezogen worden sei. Hieraufhin machte der Schwerbehinderte bei der Beklagten im Rahmen einer außergerichtlichen Geltendmachung eine Entschädigung geltend
Beklagte: Kriterien der Stellenausschreibung nicht erfüllt
Auf seine außergerichtliche Geltendmachung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 Antidiskriminierungsgesetz (AGG) teilte die Beklagte dem Kläger mit, er erfülle die Voraussetzungen nicht, da er sein Studium mit der Note „befriedigend“ abgeschlossen habe. Da er die formalen Kriterien der Stellenausschreibung nicht erfülle, habe man ihn nicht zu einem Vorstellungsgespräch einladen müssen.
Kläger erhebt Klage auf Entschädigungszahlung
Mit seiner Klage verfolgt der Kläger seinen Entschädigungsanspruch weiter. Er begründet den begehrten Anspruch damit, dass die Beklagte ihn, entgegen der Vorgaben des Sozialgesetzbuchs (SGB) IX und des AGG, benachteiligt habe. Dies ergebe sich daraus, dass die Beklagte ihn entgegen § 165 Satz 3 SGB IX nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen habe.
Keine Beachtung des Ausschlusskriteriums während des gesamten Auswahlverfahrens
Er, so der Kläger, sei auch fachlich für die Stelle geeignet. Dies ergebe sich daraus, dass die in § 165 Satz 4 SGB IX zugelassene Ausnahme von der Einladungspflicht gegenüber schwerbehinderten Stellenbewerbern eng auszulegen sei. Denn es sei unvereinbar allein die Abschlussnote eines Studiums als Ausschlusskriterium anzusehen. Im Übrigen habe die Beklagte dieses Kriterium auch nicht während des gesamten Auswahlverfahrens beachtet.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen.
Bundesarbeitsgericht bejaht fehlende Eignung, aber…
Vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte der Kläger Erfolg. Mit der vom Landesarbeitsgericht (LAG) gegebenen Begründung, so die Richter*innen des 8. Senats, durfte die Klage nicht abgewiesen werden.
Zwar hat das LAG zutreffend angenommen, dass die Beklagte berechtigt war, in der Stellenausschreibung für den von ihr geforderten Hochschulabschluss die Mindestnote „gut“ als zwingendes Auswahlkriterium zu bestimmen, dass dem Kläger angesichts dessen fachlicher Eignung für die ausgeschriebenen Stellen offensichtlich fehlte. Nicht geprüft indes hat das Berufungsgericht jedoch, ob die Beklagte auch niemand anderen, der das geforderte Hochschulstudium nicht mit der Mindestnote „gut“ abgeschlossen hatte, zum Vorstellungsgespräch eingeladen bzw. eingestellt hat.
BAG: LAG muss konsequente Anwendung des Auswahlkriteriums prüfen
Aufgrund der bislang vom LAG getroffenen Feststellungen konnte der Senat nicht entscheiden, ob die Beklagte, die insoweit die Darlegungs- und Beweislast trifft, die Anforderung eines bestimmten, mit der Mindestnote „gut“ abgeschlossenen Hochschulstudiums im Auswahl-/Stellenbesetzungsverfahren konsequent angewendet hat. Dies führte zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG.
Rechtslage:
§ 165 SGB IX
Besondere Pflichten der öffentlichen Arbeitgeber
Die Dienststellen der öffentlichen Arbeitgeber melden den Agenturen für Arbeit frühzeitig nach einer erfolglosen Prüfung zur internen Besetzung des Arbeitsplatzes frei werdende und neu zu besetzende sowie neue Arbeitsplätze (§ 156). Mit dieser Meldung gilt die Zustimmung zur Veröffentlichung der Stellenangebote als erteilt. Haben schwerbehinderte Menschen sich um einen solchen Arbeitsplatz beworben oder sind sie von der Bundesagentur für Arbeit oder einem von dieser beauftragten Integrationsfachdienst vorgeschlagen worden, werden sie zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Eine Einladung ist entbehrlich, wenn die fachliche Eignung offensichtlich fehlt. Einer Inklusionsvereinbarung nach § 166 bedarf es nicht, wenn für die Dienststellen dem § 166 entsprechende Regelungen bereits bestehen und durchgeführt werden.
Hier geht es zur Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts vom 29.4.2021: