Kinderkrankengeld unterliegt dem Progressionsvorbehalt auch in der Krise

Familien sind durch die Corona-Krise vor enorme organisatorische Herausforderungen gestellt. Sind Eltern Arbeitnehmer*innen, können sie nur für einen begrenzten Zeitraum von der Arbeit fernbleiben, um ihrer Kinder zu betreuen. Im Bundestag vertreten einige Abgeordnete die Auffassung, dass der steuerrechtliche Progressionsvorbehalt beim Kinderkrankengeld ausgesetzt werden müsste. Das hat die Bundesregierung jetzt abgelehnt.

Schulen und Kindergärten schließen in der Pandemie immer wieder. Zahlreiche Eltern müssen daher auf das Kinderkrankengeld nach § 45 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB  V) zurückgreifen.  Mit der am 23. April in Kraft getretenen Ergänzung des Infektionsschutzgesetzes hat der Gesetzgeber den Anspruch auf Kinderkrankengeld für 2021 weiter ausgeweitet. Er gilt nicht nur dann, wenn das Kind krank ist, sondern auch, wenn Kitas und Schulen geschlossen sind oder die Betreuung eingeschränkt ist und die Eltern ihre Kinder wegen der Pandemie zu Hause betreuen müssen.

Die Leistung selbst ist steuerfrei wie auch andere Lohnersatzleistungen, etwa das Kurzarbeitergeld, das Insolvenzgeld, das Krankengeld oder Entschädigungen für Verdienstausfall nach dem Infektions-schutzgesetz. Alle diese Leistungen unterliegen aber dem Progressionsvorbehalt.

Leistungen wie das Kinderkrankengeld können dazu führen, dass der Staat die übrigen steuerpflichtigen Einkünfte höher versteuert

In Deutschland zahlt nicht jeder den gleichen Steuersatz seines Einkommens. Je höher das zu versteuernde Einkommen ist, desto höher ist grundsätzlich auch der Steuersatz. Das nennt sich „Steuerprogression“. Für die Höhe des Steuersatzes wird eine Sozialleistung, die dem Progressionsvorbehalt unterliegt, als Einkommen angesehen.

Deshalb können Leistungen wie das Kinderkrankengeld dazu führen, dass die übrigen steuerpflichtigen Einkünfte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Steuerjahr höher besteuert werden, als dies ohne den Einsatz von Lohnersatzleistungen der Fall wäre. Häufig gibt es dann mit dem nächsten Steuerbescheid ein böses Erwachen: statt wie üblich Arbeitnehmer*innen zu viel gezahlte Steuern zu erstatten, hält der Fiskus die Hand auf.

Mehrere Abgeordnete hatten im Bundestag die Anfrage an die Regierung gestellt, ob während der Pandemie nicht eine Sondersituation besteht und der Progressionsvorbehalt für Kinderkrankengeld ausgesetzt werden könnte.

Die Bundesregierung ist dagegen, den Progressionsvorbehalt zeitweise auszusetzen

Die Bundesregierung hat diese Anfrage im April 2021 im Bundestag beantwortet. Mit Blick auf die Gleichmäßigkeit der Besteuerung hält sie es für bedenklich, den Progressionsvorbehalt zeitweise für das Kinderkrankengeld auszusetzen.  Im Interesse der verfassungsrechtlich gebotenen steuerlichen Lastengleichheit seien Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit grundsätzlich gleich hoch zu besteuern. Das ergebe sich bereits aus dem Gleichheitssatz des Grundgesetzes.

Wer neben anderen Einkünften Kinderkrankengeld oder andere Lohnersatzleistungen (wie z. B. Kurzarbeitergeld) erhalten habe, sei wirtschaftlich  vergleichbar  leistungsfähig  wie  solche  Personen,  die  insgesamt gleich hohe Einkünfte ohne Lohnersatzleistungen erzielt haben. Es sei deshalb folgerichtig, dass steuerfrei gestellte Kinderkrankengeld bei der Ermittlung des Steuersatzes zu berücksichtigen. So werde eine ungleich hohe Besteuerung verhindert.

Wer dem Progressionsvorbehalt unterliegt, muss nicht immer Steuern nachzahlen

Darüber hinaus sprächen allgemeine  Gesichtspunkte der  Steuergerechtigkeit gegen eine Aussetzung des Progressionsvorbehalts für bestimmte Lohnersatzleistungen. Denn die Beschäftigten in den Krankenhäusern, Pflegeheimen oder ähnlichen „systemrelevanten“ Berufen, die während der Krise unter erschwerten Bedingungen gearbeitet haben, unterlägen – anders als Bezieher von Lohnersatzleistungen – der vollen progressiven Besteuerung und der vollen Sozialabgabenpflicht.

Zudem müssten Bürger*innen, die dem Progressionsvorbehalt unterlägen, nicht immer Steuern nachzahlen. Die konkreten steuerlichen Auswirkungen des Progressionsvorbehalts bei den betroffenen Arbeitnehmern würden vielmehr von deren individuellen Verhältnissen ab. Dazu gehörten insbesondere die Höhe des Kinderkrankengeldes, die Steuerklasse, die Höhe der Steuerabzüge, die Höhe anderer Einkünfte sowie die Höhe bestimmter Abzugsbeträge.

Auch das wegen der Pandemie gezahlte Kurzarbeitergeld unterliegt dem Progressionsvorbehalt

Das ist zumindest die Auffassung der Bundesregierung. Ob das Einkommenssteuergesetz insoweit geändert wird, entscheidet die Regierung indessen nicht, sondern der Bundestag. Jeder Bundestagsabgeordnete kann Gesetzesvorschläge in den Bundestag einbringen. Allerdings verhält es sich in der Regel so, dass die Fraktionen einer Koalition, die die Regierung stellt, geschlossen für deren Anträge abstimmen. Die Auffassung der Bundesregierung entspricht daher mit einem hohen Grad der Wahrscheinlichkeit dem, was der Bundestag dann auch entscheidet.

Es ist also wenig wahrscheinlich, dass zukünftig die Folgen der Pandemie weiter abgemildert werden, indem der Staat auf den Progressionsvorbehalt zeitweise verzichtet. Das gilt auch für andere Sozialleistungen, etwa für das Kurzarbeitergeld, das viele Beschäftigte im vergangenen Jahr wegen der Pandemie erhalten haben.