Wer sich ohne Zustimmung des Jobcenters außerhalb des „zeit- und ortsnahen Bereichs“ aufhält, bekommt für diese Zeit kein ALG II. Das Jobcenter darf die Zustimmung indessen nicht verweigern, wenn es einen wichtigen Grund für die Abwesenheit gibt. Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hatte sich kürzlich mit einem solchen Fall befasst.
Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 09.04.2021 – Az.: L 12 AS 1677/19
Hans Häberle (Name von der Redaktion geändert) wohnt im Ländle und bezieht seit März 2017 Arbeitslosengeld II (Hartz IV). Er hat eine Freundin weit oben im Norden der Republik, in Schleswig-Holstein. Sie war von ihm hoch schwanger und der Geburtstermin stand im Mai 2018 kurz bevor. Herr Häberle ging deshalb am 18. Mai 2018 zum Jobcenter und teilte dort wahrheitsgemäß mit, dass er am 26. Mai 2018 zu seiner Freundin reisen und ihr beistehen wolle.
Das Jobcenter wies ihn indessen darauf hin, dass ihm lediglich 21 Tage „bezahlten“ Urlaubs zustünden. Er solle sich noch einmal melden, bevor er nach Schleswig-Holstein fahre. Eine Genehmigung des Urlaubs sei noch nicht möglich, weil bis zur Abreise noch mehr als eine Woche Zeit sei.
Am 28. Mai wurde das Kind geboren
Vom 26.Mai bis zum 15.Juli.2018 hielt sich Herr Häberle bei der Kindsmutter in Schleswig-Holstein auf. Das gemeinsame Kind wurde am 28.Mai.2018 geplant per Kaiserschnitt entbunden. Hans Häberle erlebte die Geburt des Kindes mit und unterstützte seine Freundin in der Folgezeit, indem er mit ihr zusammen den Haushalt führte und das neugeborene Kind betreute. Die Kindsmutter wurde 10 Tage nach der Geburt aus dem Krankenhaus entlassen.
Das Jobcenter hob die Bewilligung von Arbeitslosengeld II für den Zeitraum auf, in dem Herr Häberle sich nicht an seinem Wohnort aufhielt. Zudem forderte es rund 958,00 € von ihm zurück. Denn der treusorgende Vater habe sich die Ortsabwesenheit nicht im Voraus genehmigen lassen. Eine nachträgliche Genehmigung komme nicht in Betracht, weil die Kindsmutter nicht seiner Betreuung bedurft hätte.
Rechtsgrundlage war hier § 7 Abs. 4a Sozialgesetzbuch II (SGB II):
Erwerbsfähige Leistungsberechtigte erhalten keine Leistungen, wenn sie sich ohne Zustimmung des zuständigen Trägers nach diesem Buch außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs aufhalten und deshalb nicht für die Eingliederung in Arbeit zur Verfügung stehen. Die Zustimmung ist zu erteilen, wenn für den Aufenthalt außerhalb des zeit-und ortsnahen Bereichs ein wichtiger Grund vorliegt und die Eingliederung in Arbeit nicht beeinträchtigt wird. (…) Die Zustimmung kann auch erteilt werden, wenn für den Aufenthalt außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs kein wichtiger Grund vorliegt und die Eingliederung in Arbeit nicht beeinträchtigt wird. Die Dauer der Abwesenheiten (…) soll in der Regel insgesamt drei Wochen im Kalenderjahr nicht überschreiten. |
Das Sozialgericht (SG) hatte den angefochtenen Bescheid aufgehoben. Hans Häberle habe sein verfassungsrechtlich garantiertes Elternrecht wahrgenommen. Das sei ein wichtiger Grund im Sinne des Gesetzes.
Eine Abwesenheit von bis zu drei Wochen ist nicht schädlich
Das Landessozialgericht hat jetzt das Urteil des Sozialgerichts nur zum Teil bestätigt.
Zwar habe sich Herr Häberle ab dem 26.05.2018 außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs aufgehalten. Deshalb habe er auch nicht mehr für die Eingliederung in Arbeit zur Verfügung gestanden. Der Aufenthalt in Schleswig-Holstein sei indes für die rechtlich maximal zulässige Abwesenheit von 3 Wochen nicht schädlich für das ALG II gewesen.
Denn insoweit wäre das Jobcenter verpflichtet gewesen, den Antrag auf Ortsabwesenheit zu genehmigen. Der in Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz (GG) zuerkannte besondere Schutz der Familie umfasse auch das Recht des Kindsvaters, die unmittelbare Zeit der Geburt des Kindes zu begleiten sowie im weiteren Verlauf die Kindsmutter zu unterstützen und das Neugeborene zu betreuen.
Herr Häberle habe am 18.Mai.2018 alles seinerseits Erforderliche getan, um die rechtlich vorgesehene Zustimmung des Jobcenters zu erlangen. Es sei nicht gerechtfertigt gewesen, dass das Jobcenter von ihm verlangte, kurz vor seiner Abreise erneut vorstellig zu werden. Zudem hätte das Jobcenter Eingliederungsmaßnahmen im betreffenden Dreiwochenzeitraum gar nicht beabsichtigt.
Mehr als drei Wochen durfte Herr Häberle aber nicht abwesend sein
Das LSG verneinte allerdings, dass in diesem Fall eine außergewöhnliche Härte vorgelegen habe, die es erfordert hätte, den Zeitraum von 3 Wochen zu verlängern. Das sei nämlich nur sehr beschränkt möglich, wenn sich die Rückreise überraschend verzögert hätte. Das wäre etwa der Fall gewesen, wenn Herr Häberle plötzlich krank geworden, in einen Verkehrsunfall verstrickt gewesen wäre oder die Bahn gestreikt hätte.
Schließlich gebe es auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Kindsmutter knapp drei Wochen nach der Geburt und zehn Tage nach der Entlassung aus dem Krankenhaus nicht im Stande gewesen sein sollte, unterstützt durch Freunde und eine Familienhelferin den Haushalt zu führen und das Neugeborene zu betreuen.
Hans Häberle hätte es darüber hinaus freigestanden, zur Überwindung der räumlichen Distanz zur Kindsmutter oder zumindest in deren Nähe zu ziehen.